Als ich im Sterben lag

Es muss ein seltsames Gefühl sein, wenn man zuschauen kann, wie einem der eigene Sarg geschreinert wird.

Der amerikanische Schriftsteller William Faulkner, dessen Todestag sich am 6. Juli 2012 zum fünfzigsten Mal jährte, hat mit „Als ich im Sterben lag“ einen aussergewöhnlichen Roman geschrieben, der 1930 veröffentlicht wurde. Addie Bundren, eine arme weisse Farmersfrau, liegt auf dem Sterbebett, in einem Ort mit dem fiktiven und unaussprechbaren Namen Yoknapatawpha, im Bundesstaat Mississippi. Ihr letzter Wunsch ist es, in Jefferson, bei ihren Angehörigen, beerdigt zu werden.

Während  Darl und Jewel noch auf ihrem Mauleselgespann mit einer Holzfuhre unterwegs sind, fertigt Cash, der älteste Sohn, derweil den Sarg für seine Mutter, die ihm durch das Fenster bei der Arbeit zuschauen kann.

„Bloss weil er sich ausgerechnet da draussen hinstellt, unmittelbar vorm Fenster, und an diesem gottverdammten Sarg herumhämmert und -sägt. Wie sie ihn a sehen muss. Wo jeder Atemzug, den sie macht, mit seinem Klopfen und Sägen voll ist, wo sie seiner Herausforderung „Schau her!“ gar nicht entgehen kann. Schau her, war für einen schönen Sarg ich dir zimmere.“

Anse respektiert den letzten Wunsch seiner Frau und nachdem die beiden Söhne endlich mit dem Karren zurück sind, treten alle Familienangehörigen gemeinsam die beschwerliche Reise, zur letzten Ruhestätte der Toten, an. Fünfzehn Personen lässt William Faulkner zu Wort kommen, um aus ihrer Sicht von den Ereignissen, die sich vor und während der Reise zutragen, zu berichten. Erstaunlicherweise bekommt auch die Tote Addie Bundren eine Stimme, um über ihre Ehe mit Anse zu berichten.

Die Fahrt steht unter keinem guten Stern und etliche Hindernisse und Probleme stellen sich diesem Grüppchen in den Weg. Heftige Regenfälle reissen einige Brücken über dem Fluss weg, den die Familie Bundren überqueren müsste. Den Rat von Farmern, umzukehren und die Tote zu Hause zu beerdigen, schlägt Anse mit einem „ich hab es ihr versprochen“ in den Wind. Die Familie ist eigen, allen voran Anse. Die Einladungen zu einer warmen Mahlzeit lehnt er kategorisch ab, schliesslich hat man einen Korb mit Proviant dabei, den Dewey Dell, die Tochter, gepackt hat. Anse will niemandem Umstände machen oder gar zur Last fallen.

Um nicht zeitraubende Umwege machen zu müssen, versucht die Familie trotzdem über den Fluss zu kommen und prompt kommen die Tiere in den reissenden Fluten um. Um ein Haar wird auch der Sarg weggespült und nur mit äusserstem Kräfteaufwand gelingt es Jewel, den Sarg an Land zu ziehen. Cash, der Nichtschwimmer, wird mit einem gebrochenen Bein aus dem Wasser geborgen und Darl holt auch noch Cashs Werkzeug aus dem Fluss. Man stelle sich diese groteske Situation einmal vor.

„Dann kippte der Wagen, und er und Jewel und das Pferd bildeten einen einzigen Knäuel. Cash verschwand aus meinen Augen, sich immer noch am Sarg festklammernd, dann konnte ich nichts mehr erkennen, weil das Pferd ausschlug und um sich spritze. […] und ich brüllte Jewel zu, er solle zurückgehen; dann gingen mit einem Mal er und sein Pferd auch unter und ich war überzeugt: nun gehn sie alle zum Teufel.“

Damit die Reise fortgesetzt werden kann, muss Anse neue Tiere besorgen und leiht sich Jewels einzigen Besitz, sein Pferd, aus, und reitet davon. Er kehrt schliesslich mit einem Gespann zurück, hat aber gleichzeitig Jewels Pferd, an Zahlung gegeben, was diesen verständlicherweise fuchsteufelswild macht.

Seit Addies Tod sind inzwischen mehrere Tage ins Land gezogen, die ersten Bussarde kreisen am Himmel, angezogen vom Geruch der Leiche, die bescheiden ausgedrückt, nicht mehr gar so frisch ist.  Die Raubvögel, die immer mehr werden, fliegen über dem Trauerzug mit.

Dewey Dell versucht im nächsten Ort heimlich ihr Schwangerschaftsproblem im Drugstore zu regeln. Doch sie gerät beim Apotheker an die falsche Adresse:

„Jetzt sah sie mich an, Augen und Gesicht irgendwie geleert, so wie ich sie zuerst durch die Schaufensterscheibe erblickt hatte. „Ich wusste das nicht“, sagte sie, „er sagte mir, ich könn’s im Drugstore kaufen. Er sagte zwar, man würde es mir vielleicht nicht verkaufen wollen, doch wenn ich zehn Dollar hätte und Ihnen sagte, ich würd’s keinem nicht sagen …“

In den nächsten Orten, die die Familie durchquert und kurz Halt macht, sind sie nicht mehr willkommen, der Verwesungsgeruch eilt ihnen voraus und scheint an allem haften zu bleiben. Darl hält diesen Zustand nicht mehr aus und dreht schliesslich durch und zündet die Scheune eines Bauern an, der ihnen Nachtquartier gewährt hat. In Jefferson angekommen wird er kurzerhand in die Irrenanstalt abgeschoben. Dewey Dell versucht ihr Glück noch einmal in einem Drugstore und ihre verzweifelte Lage wird von einem Angestellten schamlos ausgenützt.

Ich hatte mit den Büchern von William Faulkner immer so meine Mühe, aber dieser Roman hat es mir angetan. Die ganze Geschichte ist eine Tragikomödie. Cash ist mir speziell ans Herz gewachsen, denn nach seinem Unfall im Fluss, erträgt er seine Schmerzen, die ihm das gebrochene Bein verursacht, mit einer stoischen Ruhe, obwohl er sicher am liebsten laut aufgeschrien hätte. Dass sich der Vater zuerst um die Tote kümmert und erst danach um seinen lebenden Sohn, der dringend einen Arzt benötigt hätte, nehm ich ihm übel. Ständig ist er am Jammern und schlussendlich geht es nur um sein Wohlergehen. Mit dem Geld, das er seiner Tochter auch noch abnimmt besorgt es sich gar noch ein neues Gebiss in Jefferson. Jedes seiner Kinder hätte Unterstützung dringend gebraucht, nicht zuletzt der jüngste Sohn Vardaman, der immer mal wieder „meine Mutter ist ein Fisch“ von sich gibt, weil er kurz vor dem Tod der Mutter mit einem gefangenen Fisch nach Hause gekommen ist. Die Erzählweise, die Faulkner für seinen Roman gewählt hat, fand ich sehr spannend. Zwar war die Ausgangslage für die Familienmitglieder in etwa die gleiche, doch jeder hat die Reise und die damit verbundenen Umstände anders erlebt oder wahrgenommen. Dass auch Aussenstehende und nur indirekt beteiligte Personen zu Wort kommen, ist ein weiterer interessanter Aspekt dieses Romans. Je länger ich das Gelesene nochmals auf mich einwirken lasse, desto begeisterter bin ich davon.

Der Roman ist praktisch zeitgleich bei Rowohlt, in neuer Übersetzung, erschienen und bei Diogenes als Taschenbuch wieder aufgelegt worden, welches ich gelesen habe. Für welche Ausgabe man sich entscheidet, bleibt jedem selber überlassen.

2 Gedanken zu „Als ich im Sterben lag

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