Ich muss es einfach tun und den irren Debüt-Roman der Österreicherin Vea Kaiser auch noch vorstellen. Mein Bücherkoffer für den letzten Herbst-Urlaub musste bestückt werden und gerne nehme ich jeweils Literatur mit, die zum Reiseziel passt. „Blasmusikpop“ musste nach Österreich mit – und wurde auch prompt allem anderen vorgezogen. Ich habe den Entscheid keine Minute bereut.
Johannes A. Irrwein kommt im fiktiven Bergdorf St. Peter am Anger zur Welt. Er ist ganz anders als die übrige Dorfjugend und all die Traditionen kümmern ihn wenig. Er mag kein Fussball, spricht kein Dialekt sondern gepflegtes Hochdeutsch und assistiert schon in jungen Jahren seinem Doktor Opa und lässt sich als Gute Nacht-Geschichten die Odyssee erzählen. Der Opa absolvierte als erster Einheimischer überhaupt ein Studium und kehrte erst zurück, als er schon ein renommierter Bandwurmforscher war. Er eröffnete die erste Arztpraxis am Ort. Johannes soll es ihm einmal gleichtun.
„Für den kleinen Johannes waren es die schönsten Tage der Woche. Doktor Opa und er erforschten die Welt, weswegen er die Schultasche stets vollgestopft zu ihm schleppte, wer weiss, welche Instrumente und Bücher er benötigte.“
Johannes Eltern wünschen sich für ihren Sohn allerdings, dass er am Dorfleben teilnimmt, so soll er auch mit den anderen Kindern ins Jungscharlager fahren. Für Mutter Ilse wird das ein einziger Kampf:
„Sie versuchte Johannes‘ Finger mit Gewalt vom Geländer zu lösen. Kaum hatte sie seine Finger von der Sprosse gelöst und seinen Bauch umfasst, um ihn ins Auto zu tragen, wo bereits die gepackte Tasche mit Schlafsack und Isomatte auf ihn wartete, griff er nach dem nächsten Treppenpfeiler. Vier Stufen hatte sie schon geschafft, sieben lagen noch vor ihr.“
Auch Vater Alois muss seinen Sohn förmlich zum Training des dorfeigenen Fussballvereins zerren. Sein Sohn wird bei einem Spiel zum tragischen Helden, wird er doch beim Lauf auf das gegnerische Tor brutal ausser Gefecht gesetzt, so dass er nie mehr zum Dribbling ansetzen wird. Er ist so gut in der Schule, dass er ins Tal aufs Gymnasium geschickt werden kann, obwohl seine Eltern dagegen sind. Ausgerechnet dieser intelligente Junge fällt schliesslich bei der Matura durch. Er ist kläglich gescheitert und anstatt in die Hauptstadt zum Studium aufzubrechen, kehrt er in sein Dorf zurück und weiss zuerst einmal überhaupt nicht, was er hier machen soll. Nach einiger Zeit beschliesst Johannes eine Dorfchronik zu schreiben, über die Bergbarbaren. Doch er muss bald feststellen, dass er dies nicht als Beobachter von aussen kann, sondern er muss dazu am Dorfleben teilnehmen.
Er, der jahrelang kaum Kontakt zur Bevölkerung hatte und sich von ihr distanziert und sogar geschämt hat, muss sich mit der Zeit eingestehen, dass so eine Dorfgemeinschaft durchaus auch etwas Gutes hat. Er freundet sich sogar mit dem Stürmerstar des Fussballvereins, Peppi, an, der zwar ein einfaches Gemüt, aber ein grosses Herz hat. Und es ist eben dieser Peppi, der an der Jahresversammlung des Fussballclubs das Wort ergreift und Johannes A. Irrwein zum Schriftführer und einen Unparteiischen als Präsidenten, nämlich den Herrn Pfarrer, vorschlägt. Der Club, der wegen einer gigantischen neuen Flutlichtanlage in finanzielle Schieflage geraten ist, muss etwas unternehmen, um die Kasse zu sanieren. Ein Freundschaftsspiel, der zu einem Event mit allem Drum und Dran werden soll, wäre genau das richtige. Johannes schreibt einige Fussballvereine an, um zum Anlass einzuladen. Aus reiner Bequemlichkeit bei seinen Internetrecherchen geht eines seiner Schreiben an den FC St. Pauli, in Hamburg. Und der Fussballclub schreibt tatsächlich zurück und bringt die Bevölkerung im verschlafenen St. Peter am Anger in Bewegung.
„Unten war indessen Volksfestatmophäre ausgebrochen. Die St. Petrianer schrien wild durcheinander, und aus den wenigen Fetzen, die Johannes aufschnappte, schloss er, dass die Organisation in dieser Minute begonnen hatte. Die Mütterrundenmitglieder besprachen, welche Kuchen zu backen und Aufstriche anzurühren waren, der Wirt und Frau Moni stritten über die Logistik der kalten und warmen Getränke. Der Fussballtrainer rief seine Spieler zusammen, um den Trainingsplan zu intensivieren […]“
Doch es sind noch etliche Hindernisse zu nehmen und da sind auch noch die vier Dorfältesten, Grossvater Rettenstein, Ebersberger, Hochschwab und Rossbrand, die sonst immer das letzte Wort haben, doch diesmal ist es auffällig ruhig um sie…
Vea Kaisers Roman habe ich mit grossem Vergnügen gelesen und ich bin begeistert. Ihr Romandebüt ist erfrischend anders und hebt ab. Obwohl das Buch fast fünfhundert Seiten umfasst, ist die Lektüre kurzweilig und gierig habe ich Seite um Seite verschlungen, immer gespannt, in welche Situation sich Johannes oder einer der Dorfbewohner wieder hineinkatapultieren würde. Manch irrwitzige Szenen sind dabei entstanden, hat mein Kopf Kino auf herrlichste Weise angekurbelt und mich an britische Filmkomödien erinnert. Eine Art moderner Heimatroman ist entstanden, der von Einfallsreichtum nur so sprüht und ich habe mich oft gefragt, woher die junge Autorin, die gerade einmals 24 Jahre alt ist, bloss diese Phantasie her hat. Sie hat teils schrullige und sehr eigene Figuren geschaffen und die Dialoge überschäumen vor Witz. Sehr erfrischend fand ich dabei, dass die Dialoge der Dorfbevölkerung im österreichischen Dialekt verfasst sind und es hat mir Riesenspass gemacht, diese Passagen häufig laut vor mich her zu lesen. Der Dialekt wurde mir im Urlaub schliesslich tagtäglich präsentiert. Dabei habe ich auch immer mal wieder eines der Kapitel meinem Partner vorgelesen und manchmal haben wir Tränen gelacht, denn etliche Szenen sind der reinste Slapstick.
Das Buch regt aber auch zum Nachdenken an, denn Vea Kaiser vermittelt auch, dass eine eingeschworene Dorfgemeinschaft nicht negativ sein muss. Zwar kann sie beengend werden, vor allem wenn nichts vor den Augen und Ohren der anderen verborgen bleibt und der Dorftratsch seine Runde macht. Dass aber ein grosser Zusammenhalt unter diesen Menschen besteht und man sich gegenseitig hilft, das muss mit der Zeit auch der Einzelgänger und Streber Johannes einsehen. Durch die Eingebundenheit im Vereinsleben, durch seinen neuen Freund Peppi und seine Aufgabe, die er übernehmen muss, wird er zu einem angesehenen und aufgeschlossenen jungen Mann, der auch die Liebe kennenlernt und durch all die Umstände die wahre Reifeprüfung – die des Lebens – besteht.
Vea Kaiser: „Blasmusikpop“Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-462-04464-5
Pingback: Vea Kaiser: Blasmusikpop (2012) | buchpost
Liebe Lesewelle,
ich habe auch schon viel über das Buch gehört (und vor ein, zwei Wochen einen klugen Kommentar von Vera Kaiser zum Urheberrecht gelesen, nachdem sie auf illegale Downloads ihres Buches im Netz gestoßen war). Ich glaube, ich kaufe mir „Blasmusikpop“ jetzt auch. Danke für die Rezension!
Liebe Grüße
Beate
Liebe Beate
Das ist schön, wenn du den Roman ebenfalls kaufst. Den Appell von Vea Kaiser betreffend Urheberrecht habe ich ebenfalls gelesen und ich kann ihr nur beipflichten. Ich wünsche dir viel Spass mit der Lektüre.
Liebe Grüsse
buechermaniac
Liebe buechermaniac,
ich freue mich so, dass dir das Buch auch so gut gefallen hat und dass ich dank deiner Besprechung noch einmal eintauchen konnte in diese liebenswert skurrile Geschichte. Ich bin erstaunt, dass das Buch bisher so wenig auf Blogs besprochen wurde – oder habe ich die Besprechungen verpasst? Mich hat es unheimlich begeistert und ich würde dem Buch gerne noch weitere Leser wünschen.
Ich finde es immer wieder erstaunlich, dass Vea Kaiser mit ihren 23 Jahren, neben einem Studium, dieses sagenhafte Buch hingelegt hat. Dafür kann ich sie einfach nur bewundern. Bevor ich weiter ins Schwärmen gerate, höre ich lieber auf zu schreiben … 😀
Liebe Mara
Wegen deiner Rezension habe ich das Buch gleich nach Österreich mitgenommen 🙂 und ich habe die Lektüre keine Sekunde bereut. Das ist wahr, „Blasmusikpop“ habe ich noch kaum je auf einem Literaturblog gesehen, ausser bei dir. Meine Rezension lag schon lange in der Schublade bereit. Ich habe einfach verpasst, sie früher aufzuschalten. Aber durch die Verspätung kann ich vielleicht noch einige Blogbesucher zu diesem Roman verführen 😉
Mir ist es auch völlig unbegreiflich, wie Vea Kaiser dieses Phänomen zwischen Studium und Buch schreiben geschafft hat. Sie hat es geschafft und wie ich meine, für einen allfälligen weiteren Roman die Messlatte ganz schön hoch angesetzt. Ich bin auf alle Fälle gespannt, was als nächstes kommt.
Herzlichst buechermaniac
Grrr. Jetzt habe ich mich all den Rezensionen, so wie Maras, bislang erfolgreich gegenüber zur Wehr gesetzt und jetzt legst du nach… Okay, ich ergebe mich und kauf das Buch… LG Mila
Und weswegen setzt du dich zur Wehr, wenn ich fragen darf?
Wenn du schon mehrere positive Rezensionen gelesen hast, Mara und ich auch nur Loblieder anstimmen, dann musst du wohl in die nächste Buchhandlung marschieren und dir das Buch beschaffen. Es ist so wunderbar schräg und anders und du wirst die Lektüre ganz bestimmt nicht bereuen 🙂
Bisher habe ich durchweg nur Positives über dieses Buch gehört, alle haben es mit Begeisterung gelesen und mit noch mehr Begeisterung davon gesprochen. Und jetzt frage ich mich, warum ich das Buch noch immer nicht gelesen oder wenigstens gekauft habe. Deine tolle Rezension erinnert mich daran, dass es allerhöchste Zeit ist!
Liebe Caterina
Du zauberst mir ein Lächeln ins Gesicht 🙂 Die Begeisterung kann ich durchaus nachvollziehen, denn ich bin ebenfalls begeistert. Ich gehöre ja nicht unbedingt zu den Leserinnen, die gerne dicke Bücher wälzt. Aber bei „Blasmusikpop“ verging die Zeit im Nu und mit Freude habe ich diesen Roman gelesen. Ungern habe ich den Roman nach der letzten Seite aus den Händen gelegt. Ich hoffe, dass du dich auch in die Reihe der begeisterten Leser einreihen kannst.
Liebe Grüsse
buechermaniac
Klingt wie Lesespaß pur!
Das war es wirklich. Einzig die Passagen, die im Dialekt geschrieben sind, waren etwas gewöhnungsbedürftig. Vea Kaiser hat ein tolles Romandebüt hingelegt 🙂