Colin und Mary, aus England, verbringen ihren Urlaub in Venedig. Seit sieben Jahren sind sie ein Paar. Mary, die geschieden ist, hat ihre Kinder bei ihrem Ex-Mann gelassen, somit können die beiden ihre Tage gestalten, wie sie gerade Lust haben. Doch nach sieben Jahren, ist die grösste Verliebtheit vorbei und hin und wieder gibt es Unstimmigkeiten zwischen den beiden.
Das Paar führt zwar meist einen Stadtführer mit sich, verirrt sich aber oft in den engen Gassen, die, wenn sie vom Hauptstrom der Touristen, wegführen, sie wie im Rachen eines Drachen, verschlingt und nicht mehr ausspucken will. So kommt es, dass sie die Lokale, in denen sie schon gegessen haben, ein zweites Mal nur schwerlich finden, denn für gewöhnlich nehmen sie die Mahlzeiten nicht in ihrem Hotel ein.
„Allein vielleicht hätte jeder für sich die Stadt mit Vergnügen erkunden, Launen erliegen, Ziele aufgeben und so das Verirrtsein geniessen oder ignorieren können. Es gab so viel zu bestaunen hier, man musste nur auf Draht sein und die Augen aufsperren. Doch kannten einander so gut wie sich selbst, und ihre Vertrautheit war, wie zu viele Koffer etwa, eine ständige Belastung; gemeinsam bewegten sie sich langsam, unbeholfen, schlossen klägliche Kompromisse, achteten auf leise Stimmungsumschwünge und kitteten Brüche.“
Eines Abends verlassen sie relativ spät das Hotel, um ein Restaurant aufzusuchen, wo sie noch etwas zu essen bekommen. Doch bald haben sie sich wieder verlaufen und kommen an Plätzen vorbei, von denen sie glauben, sie wiederzuerkennen. Da tritt plötzlich ein Fremder auf sie zu und fragt, ob sie Touristen seien. Als Mary erklärt, dass sie ein Restaurant zum Essen suchten, meint der Fremde, dass er ein Lokal kenne und will sie dort hinführen. Zwar etwas irritiert folgen Mary und Colin dem Mann, der sich in diesem Gassendschungel bestens auszukennen scheint.
„Sie nahmen die Gabelung linkerhand und gingen zehn Minuten, in denen Roberts geräuschvolle Versuche, ein Gespräch zu beginnen, auf Schweigen stiessen. Mary war selbstversunken – sie ging wieder mit verschränkten Armen -, Colin eine Spur feindselig – er wahrte Abstand zu Robert.“
Robert, so der Name des Fremden, führt sie tatsächlich in ein Lokal. Es ist eine Bar in einem Keller, wo sie allerdings nichts mehr zu essen bekommen, umso mehr frönen sie dem Wein und der Fremde beginnt ihnen seine Lebensgeschichte zu erzählen. Als Sohn eines Diplomaten, hat er seine Kindheit, zusammen mit vier Schwestern, grösstenteils in England verbracht. Er war der Liebling seines Vaters, der sehr strenge Regeln über die Kinder verhängt hatte. Ungewöhnliche Dinge, die Colin und Mary fasziniert zuhören lässt, erzählt der Fremde. Erst als die Bar dicht macht, treten die drei wieder auf die Strasse und verabschieden sich voneinander. Colin ist betrunken, Mary plagt der Durst und so irren sie erneut in den Strassen herum bis sie mitten auf dem Markusplatz landen, um sich dort in einem der Cafés auszuruhen und um endlich etwas zu trinken. Der geheimnisvolle Fremde taucht aus der Menschenmenge erneut auf. Es ist unvermeidlich, dass er das Paar entdeckt und lädt sie zu sich nach Hause ein, wo sie sich besser ausruhen könnten, als im Hotel.
Als Colin und Mary im Zimmer erwachen, sind ihre Kleider weg. Im Morgenmantel lernt Mary endlich die Ehefrau von Robert kennen, die ein Rückenleiden zu plagen scheint. Sie stellt seltsame Fragen und gibt offen zu, im Zimmer der beiden gewesen zu sein und sie beim Schlafen betrachtet zu haben. Die Kleider dürfe sie den Gästen erst aushändigen, wenn diese eingewilligt hätten, zum Essen zu bleiben.
Wie von fremder Hand geführt, willigen die beiden ein, zu bleiben. Vor dem Essen betrachtet Mary ein etwas undeutliches Foto im Esszimmer, das ihr Robert wieder aus den Händen nimmt und zurückstellt. Mit Colin führt er ein Gespräch über Frauen.
„Aber sie lieben Männer. Egal was immer sie angeblich zu glauben behaupten, die Frauen lieben Aggression und Stärke und Macht an den Männern. Das liegt tief in ihrem Innern. Denken Sie nur an all die Frauen, die ein erfolgreicher Mann an sich zieht. Wäre es nicht so, wie ich sage, dann würden die Frauen bei jedem Krieg protestieren. […] Sie reden von Freiheit und träumen von Knechtschaft.“
Hand in Hand kehren sie später in ihr Hotel zurück, wissen nicht, was sie von ihrer neuen Bekanntschaft halten sollen und die nächsten Tage verkriechen sie sich, als müssten sie sich verstecken. Sie genügen sich selbst. Sie bleiben zum Essen im Hotel, lieben sich, duschen gemeinsam und sind sich nahe, wie schon lange nicht mehr. Die seltsame Begegnung treibt sie zueinander und die alte Vertrautheit stellt sich wieder ein. Doch am vierten Tag, fühlt Mary, dass irgendetwas nicht stimmt.
„Trotz alledem wirkte Mary bedrückt, und Colin erwähnte dies auch mehrmals. Sie gab zu, dass da etwas sei, doch es stecke in ihrem Hinterkopf, knapp ausser Reichweite, erklärte sie, wie ein lebhafter Traum, der nicht wiederheraufgeholt werden könne.“
Ian McEwan, hat diesen Roman bereits 1981, im Original „The Comfort of Strangers“ veröffentlicht. Die Story beginnt harmlos. Colin und Mary sind ein Paar, die, wie viele andere auch, in Venedig Urlaub machen. In einer Stadt, in der es ein leichtes ist, sich im Gassengewirr zu verlaufen. Hier führt eine Brücke über einen Kanal, da geht es wieder zwischen den eng stehenden Häusern auf einen kleinen Platz. Doch die Geschichte gewinnt an Fahrt, als das Paar diesem Fremden und seiner Ehefrau begegnet. Der erste Instinkt ist Misstrauen, ein Zurückweichen – es ginge mir nicht anders als Tourist in einer fremden Stadt. Doch der Mann ist beharrlich, hat etwas an sich, das sie mitgehen lässt. Er führt das Paar an unsichtbaren Fäden wie ein Marionettenspieler.
Das Ganze wird mysteriös und die Spannung steigt, zieht mich mit. Begierig schlage ich Seite um Seite um, nicht ahnend, was mich noch erwarten wird und in der Tat – es verblüfft mich – was ich noch zu lesen bekomme haut mich um. Deshalb werde ich hier auch nicht ausführlicher und jeder, der sich für die Story interessiert, tut gut daran, sich den Filmtrailer nicht anzusehen, denn das Buch wurde 1990 von Paul Schrader, mit Rupert Everett, Helen Mirren, Natasha Richardson und Christopher Walken in den Hauptrollen, verfilmt.
Ian McEwan: „Der Trost von Fremden“
189 Seiten
Diogenes
ISBN 978-3-257-21266-2
Ich mochte Ian Mc Ewan eine Zeitlang sehr. Z.B. den Zementgarten, Amsterdam und Am Strand. Aber dann kam Abbitte, und ich konnte den Hype darum nicht richtig verstehen – und der Autor geriet aus meinem Lese-Fokus. Allerdings hab ich jetzt Lust auf den Roman, von dem du so begeistert schreibst. Viele Grüße von mila
„Abbitte“ habe ich bis heute nicht gelesen und den Film auch nicht gesehen. Ich lasse mich generell nicht durch Hypes beeinflussen. „Der Trost von Fremden“ erschien drei Jahre nach „Der Zementgarten“ und zwanzig vor „Abbitte“, gehört also zu den älteren Werken von Ian McEwan. Vielleicht findest du durch diesen Roman nochmals zu diesem Autor.
Liebe Grüsse
buechermaniac
Das hoffe ich sehr…
Wow, danke für diese spannende Rezension, die Lust darauf macht, das Buch so schnell wie möglich in die Hand zu nehmen. Ich habe einiges von McEwan bereits gelesen, war aber eher immer nicht ganz so begeistert und mitgerissen – das letzte Buch, das ich von ihm gelesen habe, liegt mittlerweile aber auch schon einige Jahre zurück. Vielleicht werde ich mal versuchen mich über dieses Buch ihm wieder anzunähern. 🙂
Das ist doch schön, dass meine Rezension dich begeistern konnte. Von Ian McEwan ist es erst das zweite Buch, das ich gelesen habe. Aber auch das letzte „Am Strand“ hat mir sehr gut gefallen.
Welche Romane hast du denn gelesen, evtl. „Abbitte“? Ich habe irgendwo über „Trost von Fremden“ gelesen, so dass ich sehr neugierig wurde und das Buch unbedingt lesen wollte. Ich habe es nicht bereut.
Liebe Grüsse
buechermaniac
Liebe buechermaniac,
ich habe „Abbitte“ gelesen, das so hoch gelobt und immer wieder empfohlen wurde, das für mich jedoch einer Enttäuschung gleichkam. Außerdem habe ich „Der Zementgarten“ und „Amsterdam“ gelesen, genauso wie „Saturday“. An alle drei Bücher habe ich kaum noch Erinnerungen, weder gute, noch schlechte. Sehr viele Eindrücke haben sie auf jeden Fall nicht hinterlassen. 😉 Komisch eigentlich, da McEwan ein Schriftsteller ist, den ich immer versucht habe zu mögen – durch seine Bücher habe ich mich dann aber doch eher gequält. Vielleicht ändert sich das ja mit „Trost von Fremden“.
Dann hoffe ich sehr, dass dir, dieser Roman mehr bietet. Lass mich wissen, wie du diesen Versuch beurteilst.