Die Reisepionierin Ella Maillart (Teil 1)

Seglerin an Olympischen Spielen, Gründerin der ersten Frauen-Landhockey-Mannschaft der Westschweiz, Nationalmannschafts-Mitglied im Skirennsport und Reisegefährtin von Annemarie Schwarzenbach nach Afghanistan.

Das sind nur einige ungewöhnliche Beschreibungen dieser aussergewöhnlichen Frau. Ella Maillart, geboren am 20. Februar 1903 in Genf, Tochter eines erfolgreichen Pelzhändlers und einer sportlichen dänischen Mutter, wird schon früh mit dem Wasser vertraut und im Winter nimmt sie die Mutter zum Skilaufen in die Berge mit, als dies noch als englische Marotte gilt. Mit 21 Jahren nimmt sie an den Olympischen Sommerspielen im Einhandsegeln teil. Später startet sie auch als Skirennfahrerin für die Schweizer Nationalmannschaft. Ella interessiert sich schon früh für Abenteuerbücher und wenn sie nicht mit ihrer Freundin „Miette“, der Tochter eines französischen Marineoffiziers, auf dem Wasser oder am Skifahren ist, dann steckt sie ihre Nase in Bücher.

Die Freundinnen nehmen schon mit dreizehn Jahren an Segelregatten teil, lernen immer grössere Boote zu steuern und sind noch keine zwanzig, als sie mit einem sieben Meter langen Kutter ohne Hilfsmotor von der französischen Riviera nach Korsika segeln. Sie sind vier Frauen, die erneut aufbrechen, diesmal auf der „Bonita“, und nach Korsika, Sardinien und Sizilien segeln, um schliesslich auf den Spuren des Odysseus ins Ionische Meer zu gelangen. Später wollen sie auf dem umgebauten Thonkutter „Atalante“ auf demselben Weg wie zuvor ihr Freund Alain Gerbault die Überquerung des Atlantik in Angriff nehmen. Doch die Freundin „Miette“ erkrankt noch vor Bretagnes Küste. Das Vorhaben wird abgebrochen und als „Miette“ heiratet, wird Ellas Traum, ein Leben auf See zu verbringen, begraben.

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Ella versucht sich in diversen Berufen, von Stenotypistin, über Schauspielerin und Modell für einen Bildhauer stehen, aber nur das Segeln und Skifahren befriedigen die junge Frau.

„Nur wenn ich segelte oder Ski lief, war ich ein richtiger Mensch; sonst fühlte ich mich verloren, halb tot. Alles was ich sah und las war bedrückend. Der letzte aller Kriege zeitigte nur Kompromisse, künstliche Ideale und endlose Verhandlungen, die keinen wirklichen Frieden zu schaffen vermochten […]“

Stuntwoman für Bergfilme der UFA in Berlin, Schauspielerin in einem Ski-Film in Mürren, 1931-32 Leiterin der Schweizerischen Damen-Landhockey-Mannschaft und während vier Jahren, von 1931 bis 34, vertritt sie als Mitglied der Schweizer Ski-Mannschaft ihr Land an den Ski-Weltmeisterschaften. Noch wichtiger als das Segeln ist für Ella das Skilaufen, dem sie alles andere unterordnet.

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Als sie 1929 in Berlin russische Emigranten trifft, kommt ihr die Idee, Reportagen über Russland zu schreiben und mit finanzieller Hilfe der Witwe von Jack London, reist die junge Frau nach Moskau. Es ist der Anfang ihres weiteren Lebens.

Bei der Gräfin Tolstoi findet sie Unterkunft und nachdem sie den Film „Sturm über Asien“ gesehen hat, reist sie mit einer Studentengruppe in den Kaukasus. 1932 schreibt sie ihr erstes Buch „Parmi la Jeunesse russe“ (Ausser Kurs – die Reise einer mutigen Frau in die unendlichen Weiten Russlands). Sie erhält ihren ersten Check über 6000 Franken. Das macht sie für das Reisen zwar unabhängig, zwingt sie aber gleichzeitig weiterhin zum Schreiben, sei es für Zeitungen oder um Bücher zu veröffentlichen. Nie käme es ihr in den Sinn, ihre Eltern um Geld anzubetteln, das lässt ihr Stolz nicht zu.

Ella Maillart als Mädchen und junge Frau

Immer weiter geht es nach Osten, und sie begegnet Kirgisen, Kasaken und Usbeken, besteigt Berge und gelangt schliesslich zur Wüste Takla-Makan, die zu jenem Zeitpunkt im für den Westen verbotenen China liegt. Alleine kehrt Ella, nur mit einem Rucksack ausgestattet, durch die südlichen Sowjet-Republiken nach Europa zurück. Sie durchquert dabei gefährliches Gebiet, ist sie doch ohne Bewilligung unterwegs und muss Kontrollposten meiden. Ihre Berichte und Filme werden in Paris zu einer Sensation.

Von 1934 bis 35 ist Ella Maillart für die französische Zeitung „Le Petit Parisien“ wieder in Asien unterwegs und reist nach China. In Peking begegnet sie erneut dem britischen Journalisten Peter Fleming, mit dem sie auf Anraten des Forschungsreisenden Sven Hedin, eine Route einschlägt, die Chinas Regierung nicht verboten hat, da sie durch extrem schwieriges Gebiet führt. So reisen Maillart und Fleming über Nord-Tibet, den Pamir und erreichen nach sieben Monaten Srinagar im indischen Kaschmir. Auf ihrer Reise umgehen sie Militärkontrollen und durchqueren Tsaidam, ein klimatisch extrem anspruchsvolles Hochland. Der Schriftsteller Paul Morand schreibt über Ella Maillart, als er sie in Paris wiedersieht:

„Jene, die ich meine ist eine Frau in Lammfellstiefeln und Fausthandschuhen, die Haut verbrannt von Berg- und Wüstenwind, die unbekannte Gebiete erforscht, mit Chinesen, Tibetern, Russen und Engländern, deren Socken sie flickt, deren Wunden sie verbindet und mit denen sie in aller Unschuld unter den Sternen schläft … Diese Frau ist Ella Maillart.“

Mantel, Stiefel und Reisekoffer

Sie unternimmt weitere Reisen im Auftrag des „Petit Parisien“ bis sie 1939 mit Annemarie Schwarzenbach in deren Ford Richtung Afghanistan aufbricht. In ihrem Buch „Flüchtige Idylle – Zwei Frauen unterwegs nach Afghanistan“, wird Annemarie zu Christina. Sie ist eine drogensüchtige junge Frau und so ganz anders als die robuste Ella, die vergeblich versucht, Annemarie von den Drogen loszubekommen. In Kabul trennen sich denn auch ihre Wege.

Reiseroute von Ella Maillart und Annemarie Schwarzenbach nach Kabul

Reiseroute von Ella Maillart und Annemarie Schwarzenbach nach Kabul

Ella Maillart

Annemarie Schwarzenbachs Ford auf dem Transport über das Schwarze Meer

Während dem Zweiten Weltkrieg hält sich Ella vorwiegend in Indien auf und befasst sich in dieser Zeit ausführlich mit der Lehre der Harmonie und beginnt ihr Inneres zu erforschen. Als sie nach Kriegsende in die Schweiz zurückkehrt, lässt sie sich in dem abgelegenen Walliser Bergdorf Chandolin, im Val d’Anniviers, nieder. Sechs Monate des Jahres verbringt sie an diesem atemberaubenden Ort auf 2000 Metern Höhe und baut ihr erstes eigenes Haus, namens „Atchala“, benannt nach dem heiligen Berg Arunatchala.

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Noch dreissig Jahre lang reist Ella Maillart nach Asien, dreht Dokumentarfilme und oranisiert für kleine Reisegruppen Kulturreisen in verschiedene asiatische Länder, hält Vorträge und schreibt Bücher. Am 27. März 1997 geht eine lange und unglaublich eindrückliche Reise zu Ende. Im Alter von 94 Jahren schliesst die grosse Reisepionierin, in ihrem Wohnort Chandolin, für immer die Augen.

12 Gedanken zu „Die Reisepionierin Ella Maillart (Teil 1)

  1. Pingback: Sonntagsleserin KW #08 – 2014 | buchpost

  2. Ist es nicht witzig, dass sich der Schriftsteller Paul Morand eine Frau, selbst wenn er sie für deren Abenteuerlust bewunderte, in Tibet und China nicht anders als Socken flickend und Wunden verbindend vorstellen konnte? 🙂
    Ein sehr interessanter Artikel.

    • Das ist allerdings witzig, aber auch nachvollziehbar -zumindest für jene Zeit 😉
      Ella Maillart war ja hauptsächlich mit Männern unterwegs und da bot es sich natürlich an, dass sie die Socken ihrer Reisebegleiter flickte.

  3. Guten Tag liebe Büchermaniac, diese Frau fasziniert mich schon lange, zusammen mit Annemarie Schwarzenbach. Ich fand das Buch „Verbotene Reise“ absolut spannend. PS Ich habe soeben, das von dir empfohlene Buch „Der Sommer hat lange auf sich warten lassen“ und was die Menschen zu der beschriebenen Zeit erlebt aud ausgehalten haben hat mich tief berührt.

    • Schön, dass du das Buch „Der Sommer hat lange auf sich warten lassen“ gelesen hast. Schade, dass Ella Maillart nicht mehr am Leben ist, ich könnte mir gut vorstellen, dass ich ihr stundenlang zuhören könnte.

      Liebe Grüsse sendet dir
      buechermaniac

      • Ella Maillart beim Erzählen zuhhören, wenn möglich irgendowo in der Taklamaknan Wüste, ist wirklich eine tolle Vorstellung.
        Viele schöne Stunden mit feinen Büchern wünscht Martina

    • Gerne 🙂 Ich werde noch etwas weiter über Ella Maillart berichten. Ihr Leben und natürlich vor allem ihre Reisen sind faszinierend, da sie zu einer Zeit gereist ist, als es noch ein Abenteuer war. Und schon alleine die Gegenden, die sie bereist hat, werden die meisten von uns nur aus Filmen und Büchern kennen. Und gar manche Region ist noch so gefährlich wie zu Ella Maillarts Zeiten.

    • @ Susanne und Petra:
      Mir war Ella Maillart fast mehr als Skifahrerin bekannt. Sie hat so viele Bücher geschrieben, Filme gedreht und fotografiert und hat so einen wichtigen Beitrag über das damalige Reisen und über Völker, in für uns unbekannten Gegenden erstellt. An vielen Orten, an denen sie war, war sie die erste Frau aus dem Westen. Doch ihre Art mit den Menschen umzugehen und vor allem durch die Fotografie, hat ihr die Türen geöffnet.

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