Mit dem letzten Schiff

Mit dem letzten Schiff

Varian Fry, ein junger Amerikaner von dreiunddreissig Jahren, der in Harvard Sprachen und Literatur studiert hat, und erst seit wenigen Jahren verheiratet ist, übernimmt 1940 eine aussergewöhnliche und nicht ungefährliche Aufgabe.

Am 25. Juni 1940 sollte nach einem Aufruf von Thomas Mann, und unter dem Patronat der First Lady, Eleonor Roosevelt, in New York ein Komitee gegründet werden mit dem Zweck verfolgten Künstlern und Intellektuellen die Flucht von Europa nach Amerika zu ermöglichen. Dazu sollte ein Vertreter des Komitees nach Marseille geschickt werden.

Dieser Vertreter ist Varian Fry. Er zögert keinen Augenblick und nimmt diesen Auftrag an, der der schwierigsten seines Lebens werden sollte. Das Einzige, das man ihm auf den Weg mitgibt, ist eine Tasche voller Geld und eine Namensliste.

In Marseille angekommen, quartiert er sich zuerst im Hotel Splendide ein und funktioniert einige Zimmer zu Büros um. Nun muss er nur noch all die Vertriebenen ausfindig machen, ihnen neue Pässe ausstellen und die entsprechenden Visa beschaffen. Doch ohne helfende Hände wäre diese Aufgabe für einen einzelnen Mann praktisch ein Ding der Unmöglichkeit. So kommen, je länger er seiner Arbeit nachgeht, immer mehr Freiwillige hinzu, die ihn tatkräftig unterstützen. Miriam Davenport spricht für den verängstigten Walter Mehring in Varian Frys Büro vor. Auf ihrer Reise von Paris nach Marseille ist sie bereits einigen anderen Künstlern begegnet und ist sich sicher, dass Fry die Leute in und um Marseille finden wird. Fry bietet ihr einen Job an. Menschen mit Beziehungen und guten Ideen kann er in seinem Team gut gebrauchen.

Es fällt Ihnen also vom Schicksal zu, Ihre Lieblingsautoren zu retten?“ fragte Miriam ein bisschen spöttisch.

Er nickte. „Auch bildende Künstler wie Marc Chagall und Philosophen wie Walter Benjamin… Doch wie soll ich sie retten, wenn sie sich versteckt halten? Das Emergency Rescue Committee in New York konnte mir keine Ratschläge geben. Ich gelte hier bei den französischen Ämtern als naiver Amerikaner, zu Recht, Miss Davenport. Meine Aufgabe erscheint mir in der Tat monströs!“

Aus den Geschichtsbüchern wissen wir, dass Walter Mehring die Flucht in die Staaten geglückt ist, doch bis er endlich mit einem Frachter in New York eintrifft, vergehen noch Monate und der Autor wird noch oft in Angstschweiss ausbrechen, bevor ihm, quasi auf den letzten Drücker, die Ausreise gelingt. Walter Mehring bleibt bis zu diesem Moment Varian Frys Sorgenkind. Nach dem Einmarsch der Nazitruppen in Frankreich gehen auch Offiziere im Hotel Splendid ein und aus. Jederzeit könnte Mehring verhaftet werden, deshalb verkriecht er sich in einem Zimmer des Rettungskomitees.

Zu Varians Helfern gehört auch ein Junge von vierzehn Jahren, namens Justus (Charlie Gussie) Rosenberg. Sein Vater schickt ihn und seinen Freund von Danzig nach Paris, wo er bei einem Lehrer unterkommen soll. Ausser zwei Fahrrädern, die der Lehrer noch für sie bereitgestellt hat, finden sie keinen Unterschlupf mehr. Der Lehrer ist bereits abgeholt worden. So machen sich die beiden Jungen auf und fahren mit den Rädern quer durch Frankreich. Unterwegs verdienen sie sich das Geld, in dem sie Charlie Chaplin-Nummern aufführen. Als die beiden Jungen in Toulouse beinahe verhaftet werden, weil einer der beiden beim Brotdiebstahl erwischt wird, setzt sich Miriam Davenport für die Buben ein und verspricht der Polizei, die Jungen im Kinderheim La Hille abzugeben. La Hille, in dem die Schweizer Rotkreuz-Schwester Rösy Näf arbeitet, sind die beiden Jungen vorerst gut aufgehoben. Justus setzt wenig später, an der Seite von Miriam Davenport, seinen Weg nach Marseille fort.

„Dann, Jahre später, als wir auf der Flucht waren, dachten Fred und ich uns Charlie-Szenen aus. Auf dem Fahrrad. Sie lenkten uns ab von der Angst, im Bombenregen unserer eigenen Landsleute umzukommen. Sie lenkten ab vom Schmerz des Hungers, wenn der Magen richtig wehtat.“

Abenteuerlich gestaltet sich die Flucht von Alma Mahler und ihrem Mann Franz Werfel. Heinrich, Nelly und Golo Mann gehören ebenfalls zur Gruppe, die Varian Fry persönlich bis zur spanischen Grenze begleitet. Während die Teilnehmer zu Fuss über die Pyrenäen geführt werden, reist Fry mit dem Gepäck seiner Schützlinge im Zug über die Grenze. Es wird eine schwierige Wanderung für den schweren Werfel und den alten Heinrich Mann, doch mit vereinten Kräften der anderen schaffen sie das schier Unmögliche und kommen wohlbehalten in Spanien an, bevor ihre Fahrt nach Lissabon und von dort mit dem Schiff nach New York weitergeht.

Lion Feuchtwanger, der nach grossen Schwierigkeiten in Amerika landet, erzählt den Reportern in New York detailliert von seiner Flucht, so dass die spanische Grenze für Emigranten wieder geschlossen wird und die Arbeit von Varian nicht vereinfacht. Je länger sich Varian Fry in Marseille aufhält, desto schwieriger gestaltet sich sein Auftrag, denn Spitzel und Verräter gibt es in der Hafenstadt genügend.

Menschen im Transit. Es lohn sich nicht, Bekanntschaften zu machen. Man hat nur sich und seinen Schatten. Ein Handgepäck in der Absteige. Oft nicht einmal mehr seinen echten Namen. Selten wechselt man an den Tischen ein paar Worte, immer in Angst, Spione könnten mithören.

So wird auch Fry mit seinen Leuten, nach dem Aufmarsch von Pétains Truppen verhaftet und verbringt einige Tage auf einem Gefängnisschiff. Für ihn privat wird auch die Beziehung zu seiner Frau immer schwieriger. Seiner Ehefrau werden unschöne Geschichten zugetragen. Es wird gemunkelt, dass ihr Mann im fernen Europa eine Beziehung zu einem Mann habe. Und statt nur einen Monat in Marseille zu bleiben, wird sein Aufenthalt immer länger, denn er zögert seine Abreise immer wieder hinaus. Es gibt so viele Menschen zu retten und diese kann er doch nicht einfach sich selber überlassen.

Das Buch hat zwei wesentliche Schauplätze: die Arbeit von Varian Fry in Marseille und die Betreuung der Flüchtlingskinder in „La Hille“, die Rösy Näf vom Roten Kreuz anvertraut wurde. Auch diese junge Frau aus dem Kanton Glarus hat eine anspruchsvolle Aufgabe zu erfüllen und setzt für „ihre“ Kinder alle Hebel in Bewegung, um sie vor der Deportierung zu bewahren. Nicht alle Kinder werden überleben, aber einige von ihnen schaffen es, illegal in die Schweiz zu kommen. Dafür setzen mutige Franzosen und Schweizer ihr eigenes Leben aufs Spiel.

Und was geschah mit den Künstlern und Intellektuellen?

Etliche Schriftsteller, die in Amerika ankommen, landen in den Hollywoodstudios und schreiben Filmdrehbücher, so auch Heinrich Mann oder Walter Mehring.

„Wissen Sie, ich schreibe, trotz Verbot, heimlich an meinem neuen Buch“, verriet Mann. „Ab der dritten Woche wird man Ihnen eine Romanvorlage bringen, um daraus ein Drehbuch zu machen. Es ist immer derselbe Roman, und es gibt nun schon fünfundachtzig Vorschläge für das Drehbuch. Inzwischen ist kein Geld mehr da, den Film zu realisieren. Unsere Arbeit ist eine Beschäftigungstherapie.“

Stefan Zweig wurde im Exil nicht glücklich und wählte den Freitod. Walter Benjamin, der Philosoph, nahm sich in Portbou mit Kokain das Leben, als er hörte, dass man ohne Exit-Visum zurück müsse. Mehring kehrte nach dem Krieg nach Europa zurück und war rast- und heimatlos. Auch Thomas Mann oder Marc Chagall kehrten Amerika den Rücken und trafen wieder in Europa ein, um nur einige von ihnen zu nennen.

Eveline Hasler hat einen bemerkenswerten Roman vorgelegt, der mir umso mehr unter die Haut ging, da ich ihn zum Zeitpunkt des Jahrestages der Bücherverbrennung vor mir liegen hatte. Viele Namen von Schriftstellern und Künstlern, die auf der Schwarzen Liste standen, sehe ich durch diesen Roman in einem ganz anderen Licht. Neben Varian Fry, den kaum einer kennt, sind da noch all die Menschen, die ihn so grossartig in seiner Arbeit unterstützt haben. Dasselbe gilt für Rösy Näf und die Menschen, die ihr geholfen haben und zu ihr standen.

All die Helfer haben viel riskiert und sich über Paragraphen, Regeln und Anweisungen der Behörden und ihrer Vorgesetzten hinweggesetzt, um den Verfolgten zu helfen, sie zu schützen und deren Leben zu retten. Sie waren wie ein Uhrwerk, in dem jedes einzelne Rädchen ins andere greift und dazu beiträgt, dass die Uhr auch wirklich funktioniert. Wie frustrierend muss es für die Helfer gewesen sein, zu erfahren, dass nicht alle gerettet werden konnten.

Eveline Hasler gibt einigen dieser mutigen Personen einen Namen und ein Gesicht und trägt mit ihrem Roman dazu bei, dass man sich wieder erinnert oder erstmals überhaupt von ihnen erfährt. Diese Menschen dürfen nicht vergessen gehen.

Eveline Hasler: Mit dem letzten Schiff
218 Seiten
Erscheinungsjahr 2013
Nagel & Kimche
ISBN 978-3-312-00553-6

Ich möchte an dieser Stelle auf ein SJW-Heft hinweisen, das ich hier vorgestellt habe „Retten Sie wenigstens mein Kind“ Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges berichten. Darin erzählt eine Fluchthelferin, die im Roman erwähnt wird, von ihrer Zeit in La Hille und ihren illegalen Einsätzen. Das Büchlein, das auch Schwarzweiss Fotos beinhaltet, ist eine bereichernde Ergänzung zu Eveline Haslers Roman.

Die Autorin hatte ausserdem die Gelegenheit, Justus Rosenberg in Amerika zu treffen. Der einstige Helfer von Varian Fry ist heute 86 Jahre alt und arbeitet als Professor für Linguistik in New York, wie Eveline Hasler in einem Interview zu berichten weiss. Das Interview findet ihr hier

weiterführende Links

Varian Fry

Fernsehfilm „Varian’s war“ mit William Hurt und Julia Ormond

Justus Rosenberg im Originalton

Der letzte Bruder

Nachdem ich literarisch vor kurzem auf einer Zuckerrohrplantage in Jamaica war, führt mich mein Weg nun auf die Insel Mauritius. Vielen ist das Eiland als Flitterwochenparadies bekannt, doch Mauritius hat eine bewegende Vergangenheit hinter sich. Dazu müssen wir aber das Zeitrad um beinahe siebzig Jahre zurückdrehen:

„Es heisst, man träume kurz vor dem Tod sonderbare Dinge. Meine Mutter träumte lange Zeit, dass mein Vater ihr in seinem braunen Anzug erschien, fertig, um zur Arbeit zu gehen, und dass er zu ihr sagte, komm mit, ich brauche dich […] David hingegen sagte nichts, er stand still da und sah mich an, zwischen Schatten und Licht. […] Plötzlich hatte ich genug vom Warten, streckte die Hand nach ihm aus, und schon war es Morgen, mein Zimmer war leer, das Licht gleissend, David verschwunden, der Traum zerronnen, meine Hand erhoben, unter dem Betttuch hervor, taub und eisig, mein Gesicht tränenüberströmt.“

Der Ich-Erzähler Raj ruft nach diesem Traum seinen Sohn an und bittet ihn, ihn nach Saint-Martin zu fahren. Sorgsam gekleidet wartet er zu Hause, bis er abgeholt wird. In Saint-Martin tritt er durch die Pforten des Friedhofs, wo er einen Grabstein sucht – den Grabstein von David. All die Jahre wollte er immer hierher kommen und hat es trotzdem nie geschafft – nicht gekonnt. Zu schmerzhaft sind die Erinnerungen des inzwischen siebzigjährigen Mannes.

Zusammen mit seinen Eltern und seinen zwei Brüdern Anil und Vinod lebt der achtjährige Raj am Rande des Zuckerrohrfeldes, in einem Ort namens Mapou, den man nur „das Camp“ nennt. Die Behausungen sind weniger Häuser, denn elende Hütten aus Stroh und Lehm. Die Familie hat unter der Gewalttätigkeit des Vaters zu leiden.

„Der Abend brach schnell herein, die Männer kamen vom Feld, und nun begann ein anderes Leben für uns und unsere arme Mutter, ein Leben voller Geschrei, Alkoholdunst und Tränen.“

Die Mutter und die drei Kinder bekommen die Fäuste und Bambusrute regelmässig zu spüren. Vielleicht gerade deshalb hängen die Brüder wie Pech und Schwefel aneinander. Als ausgerechnet der kleine Raj, der oft kränkelt und eher schwächlich ist, als einziger die Schule besuchen soll, ist das für ihn völlig unverständlich. Ungern trennt er sich von seinen geliebten Brüdern, die ihn auf seinem Weg begleiten und nach der Schule wieder abholen.

Bei einem Unwetter, in das die drei geraten und vor dem sie zu flüchten versuchen, verliert Raj seine Brüder aus den Augen, sie sind wie von Geisterhand verschwunden.  Tage später findet man den zerquetschten Körper des jüngeren Bruders zwischen den Felsen im Fluss, an dem die Jungen sich gerne aufgehalten haben. Der ältere bleibt verschollen, einzig seine Rute, die er immer bei sich trug, wird gefunden. Warum hat ausgerechnet er, Raj, das Unglück überlebt? Eine Welt bricht für den Jungen zusammen.

Über dieses schreckliche Ereignis verliert zu Hause keiner ein Wort. Die dezimierte Familie verlässt nach diesem traumatischen Erlebnis das Camp und zieht in ein kleines Haus am Waldrand von Beau Bassin, wo der Vater die Stelle eines Gefängniswärters antritt. Die Trauer über den Verlust der Söhne bzw. der Brüder werden Mutter und Sohn ihr ganzes Leben begleiten.

„Man sagt, jemand ist Waise, Witwer oder Witwe, aber wenn man an einem einzigen Tag zwei Söhne verloren hat, an einem einzigen Tag zwei geliebte Brüder, was ist man dann? Welches Wort benennt, was man dann ist? Dieses Wort hätte uns geholfen, wir hätten genau gewusst woran wir litten, wenn die unerklärlichen Tränen kamen und wenn, Jahre später, ein Duft, eine Farbe, ein Geschmack im Mund genügten, um uns wieder traurig werden zu lassen.“

In der neuen Schule hält sich der Junge von den Kameraden fern. Alleine zieht er durch die Gegend, klettert auf Bäume und schmiegt sich in die Äste. Er führt Selbstgespräche und rollt sich in Erdlöchern zusammen wie ein schutzbedürftiges Tier.

„Draussen gab es zu viel Neues für mich allein, und ich hätte das Zuviel dieses blauen, stillen Himmels gern geteilt, die Masslosigkeit dieses unendlichen, kräftig-grünen Waldes und vor allem dieses Schweigen, das sich dehnte, sich dehnte wie das Meer und überall einnistete, im Haus, hinter meinem Vater, rings um meine Mutter, morgens, abends, ein zähes Schweigen, an dem sich meine reduzierte Familie von nun an festhielt.“

Für Mutter und Sohn hat sich wenig geändert. Sie verhalten sich möglichst unauffällig, wenn der Vater nach Hause kommt, denn nun entlädt sich der ganze Zorn dieses Mannes nur noch auf ihnen beiden. Zwei Tage ohne Prügel bedeuten eine Verschnaufpause für die malträtierten Körper. Auch wenn die Mutter selbst übel zugerichtet wird, macht sie sich auf, um für ihren einzigen Sohn Kräuter und Wurzeln zu Salben, Tinkturen und Tees zu verarbeiten, um ihn gesund zu pflegen. Der misshandelte Junge kann sich manchmal tagelang nicht mehr aus dem Bett erheben.

In den Sommerferien bringt Raj seinem Vater regelmässig das Mittagessen ans Gefängnistor. Aus einem sicheren Versteck beobachtet er das Geschehen auf dem Hof, als ihm ein magerer Junge mit blonden Locken auffällt. Ihre Augen begegnen sich für einen kurzen Moment und nun sucht Raj den Gefängnishof jeden Tag nach diesem Jungen ab, der jedoch nicht zurückkehrt. Was hat dieser Junge mit  Gaunern, Dieben und Halunken zu tun, von denen sein Vater ihm erzählt hat, die hier eingesperrt seien?

Raj begeht den fatalen Fehler, eines Abends auf seinen Vater einzureden. Der Junge wird einmal mehr so fürchterlich zugerichtet, dass er diesmal ins Gefängnisspital gebracht werden muss. Hier trifft er diesen Jungen wieder und sie versuchen sich zu verständigen, denn der Junge spricht in einer ihm fremden Sprache. Raj erfährt, dass sein neuer Kamerad David heisst und aus einer Stadt namens Prag kommt. Als es Raj besser geht, machen die beiden nachts heimliche Ausflüge ins Freie und spielen Flugzeug. Nach der Rückkehr ins Elternhaus, sieht er seinen neuen Freund wochenlang nicht mehr und hält vergeblich Ausschau nach ihm.

Im Sommer fegen oft heftige Wirbelstürme über die Insel. Auch im Jahre 1945 verwüstet ein Zyklon weite Teile des Landes. Während das Haus der Familie dem Sturm standhält, ist der Wald nicht mehr wiederzuerkennen. Für Raj gestaltet sich der Weg zu einem mühsamen Hindernisparcours. Auch der Gefängnishof, in dem einst farbenprächtige Bougainvilleas geblüht haben und ein mächtiger Mangobaum stand, ist verwüstet. Erst jetzt offenbart sich die ganze Hässlichkeit dieses Ortes. Die abgemagerten Insassen veranstalten einen Höllenkrach und entwickeln trotz ihrer Schwäche eine gemeinsame Stärke. Die Polizisten haben alle Hände voll zu tun, um den Tumult im Zaum zu halten. Diese Gelegenheit nutzt David zum Entkommen. Zusammen mit der Mutter, die seit dem Tod ihrer Söhne erstmals wieder lachen kann, verbringen die beiden Freunde einen Moment der Unbekümmertheit, nichts ahnend, dass sie nur von kurzer Dauer sein wird.

In dieses Buch habe ich mich von der ersten Seite an verliebt. Es strahlt, trotz dem Thema von Brutalität, Armut und Krieg eine unglaubliche Wärme aus, die mich wie zwei Arme umfangen hat und zu tiefst berührt hat. Die Autorin vermittelt Rajs Freundschaft zu David mit sehr eindringlichen Worten. Und es gibt so viele Stellen im Roman, die sich in mein Gedächtnis einbrennen wollten, wie auch dieses Zitat:

„Manchmal sprach er sehr schnell, und heute begreife ich, dass er in seiner Sprache, dem Jiddischen, Halt suchte, denn sie war alles, was ihm geblieben war.“

Der Liebe und Güte der Mutter des Ich-Erzählers ist es zu verdanken, dass er auf seinem Weg ins Erwachsenenalter nicht gestrauchelt ist. Trotz der von Misshandlung und Verlust überschatteten Kindheit war er fähig, seine Liebe einer Frau und einem Sohn zu schenken.

Erst durch die Autorin Nathacha Appanah, die 1973 auf der Insel Mauritius geboren wurde und heute in Frankreich lebt, habe ich von dieser Gruppe jüdischer Flüchtlinge erfahren, die während des 2. Weltkrieges durch die Briten auf der Insel interniert wurde. Der Ich-Erzähler, der damals ein Kind war, lebte abgeschottet vom Rest der Welt und weitab von den Wirren des Krieges. Er hatte somit keine Ahnung, wie anderswo die Zerstörung und Vernichtung tobte. In der Schule wird er sogar ausgelacht, als er sich beim Lehrer nach den Juden auf der Insel erkundigt. Dieses Wissen hat der Leser dem Kind voraus, er erahnt bald, worum es sich bei David und den anderen Gefängnisinsassen handelt.

Nathacha Appanah ist auf historischem Hintergrund eine fiktive Geschichte über Freundschaft gelungen, die sich über Hürden wie Herkunft und Religion hinwegsetzt. Mit einer leisen und doch eindringlichen Stimme, voller Melancholie, hat mich der Ich-Erzähler bei der Hand genommen und auf eine Gefühlsreise mitgenommen, die mit mir Achterbahn gefahren ist. Am Ende habe ich mit Wehmut und einem Seufzer den Deckel dieses literarischen Schatzes zugeklappt. Für mich persönlich ist es bis jetzt die schönste Lektüre, die ich in diesem Jahr entdecken durfte.

Nathacha Appanah „Der letzte Bruder“
erschienen im Unionsverlag
ISBN 978-3-293-20583-6

In einem Artikel auf Spiegel online kann mann über die internierten Juden auf Mauritius, während des 2. Weltkrieges mehr erfahren.

Retten Sie wenigstens mein Kind

Ich habe mich wieder einmal auf der Verlagsseite des Schweizerischen Jugendschriftenwerks (SJW) umgesehen, von dem ich letztes Jahr bereits berichtet habe und mir ist wieder ein Titel ins Auge gestossen, den ich sehr lesenswert finde. Die Autorin Monika Fischer hat mit zehn Zeitzeugen, die den Zweiten Weltkrieg als Kind oder junge Erwachsene erlebt haben, gesprochen und ihre Erinnerungen aufgeschrieben. Im ersten Teil kommen Juden zu Wort, die verfolgt und gedemütigt wurden, die das Konzentrationslager überlebt oder geliebte Menschen dadurch verloren haben, die durch halb Europa auf der Flucht waren und schliesslich in der Schweiz doch noch einen Zufluchtsort gefunden haben.

„Alfred kam ins berüchtigte Arbeitslager nach Lublin. Dort mussten die jungen Männer hart arbeiten. Wenn sie erschöpft und ausgehungert waren, wurden sie erschossen. So auch mein Bruder.“

Es werden Menschen erwähnt, die den Mut hatten den Verfolgten und Verzweifelten zu helfen, die Menschlichkeit hat über ihre Furcht und die Vorurteile gegenüber den Flüchtlingen gesiegt.

„Die einheimische Bevölkerung nahm uns gut auf. Es waren einfache Bauersleute. Sie hatten noch nie Juden gesehen und waren erstaunt, dass wir ganz normale Menschen sind. Sie verkauften mir Gemüse, Früchte und Brot, waren nett und hilfsbereit. Dies hat mir beim Tod meines Kindes sehr geholfen.“

Auch Schweizer kommen zu Wort, die von jener Zeit auf die eine oder andere Art geprägt wurden, wie zum Beispiel ein Grenzwächter, der oft nicht begriff, was er für Befehle umzusetzen hatte und doch hin und wieder ein Auge zudrückte.

„Manchmal vernahmen wir von einer geplanten Flucht. Dann ordnete ich an, dass in jener Nacht im betreffenden Abschnitt keine Grenzwächter patrouillierten.“ […] „Täglich standen wir 16 Stunden an der Grenze und fertigten 2000 bis 3000 Flüchtlinge ab. Viele Frauen kamen mit Kinderwagen. Andere hielten ihre Kleinkinder auf dem einen Arm und trugen am andern einen Koffer.“

Ein Mann, der als junger Soldat Aktivdienst an der Grenze zu Italien verrichtet hatte und später im Hotel der Eltern, das an der österreichischen Grenze liegt, erinnert sich an tragische Momente:

„Eines Tages hörte ich beim Heuen ein Geschrei auf der Brücke in der Nähe unseres Hotels. Der Zöllner musste drei Männer und zwei Frauen mit einem Baby zurückweisen. Es tue ihm leid, er verliere sonst seinen Posten […] Unverhofft sprang eine der Frauen zu meiner Mutter, kniete nieder, legte ihr das Kind zu Füssen und bat: „Retten Sie wenigstens mein Kind!“ Blitzschnell rannte sie davon. Der überraschte Zöllner wollte das Kind zurückbringen. Doch meine Mutter wehrte sich zusammen mit einer andern Frau für das Kind. Es wuchs in der Familie eines Zöllners auf. Von seinen Eltern hat es nie wieder etwas gehört.“

Eine Frau, die im Jura aufgewachsen ist und für das Rote Kreuz in Frankreich gearbeitet hat, wurde mit anderen Vertrauenspersonen zur Fluchthelferin und erzählt, wie sie Verfolgte über die grüne Grenze brachte.

„Es war eine Frage der Menschlichkeit. Ich hatte keine Angst. Es ist wie mit der Besteigung der Eigernordwand. Wer vor solchen Unternehmen Angst hat, darf sich nicht darauf einlassen.“

Jede einzelne Geschichte ist erschütternd, regt zum Denken an und gibt wiederum Grund zur Hoffnung. Ich finde es bemerkenswert, dass sich diese, inzwischen alten, Menschen, zur Verfügung gestellt haben, um ihre Erlebnisse und Eindrücke von damals zu erzählen. Für die Nachwelt ist es nach wie vor wichtig, dass sie von jenen dunklen Jahren erfahren. Ich hoffe, dass viele Eltern für ihre Kinder oder andere Interessierte dieses Büchlein bestellen und sich diese Geschichten, die einem durch und durch gehen, lesen und mithelfen, dass sich an unseren Grenzen und in der Welt solche Tragödien nie mehr wiederholen können.

„Retten Sie wenigstens mein Kind“ von Monika Fischer
Schweizerisches Jugendschriftenwerk
ISBN 3-7269-1002-6

Der Sohn

Ein Unglück kommt selten allein. So könnte man es schon nach einigen Seiten sagen, liest man Jessica Durlachers neuen Roman „Der Sohn“. Ich stelle die Familienmitglieder am besten einmal vor:
Herman und Iezebel Silverstein, Herman, Jude und einziger Holocaust-Überlebender seiner Familie, Historiker, Iezebel, seine Frau, Nichtjüdin, Sara, die ältere Tochter und Ich-Erzählerin, Journalistin, Tara, die jüngere Schwester, Jacob Edelmann, erfolgreicher Filmproduzent und Saras Ehemann, die beiden Kinder Mitch, neunzehn Jahre alt und Tochter Tess, dreizehn.

Es fängt alles so harmlos mit Kohlrouladen an, die Opa Hermann Silverstein für seine Familie zubereitet. Doch kurz darauf stürzt Opa Herman im Garten von der Leiter und stirbt an den Folgen eines Bazillus, den er sich im Krankenhaus eingefangen hat. Für die Familie ist der Tod unfassbar und so sinnlos, vor allem Sara hat Mühe, über den Tod ihres Vaters hinwegzukommen. Hermanns Geburtsstadt Baden-Baden lädt die Hinterbliebenen zu einer Gedenkfeier nach Deutschland ein. Der Vater hatte ein Gedenkbuch der jüdischen Familien der Stadt verfasst und schon etliche Vorträge dort gehalten. Die drei Frauen beschliessen hinzureisen, nicht zuletzt will Sara einmal die Stadt kennenlernen, in der ihr Vater seine Kindheit bis 1937 verbracht hatte, bevor sie in die Niederlanden flüchteten.1942 wurden die Eltern von der niederländischen Polizei aus ihrem Haus gezerrt und bald darauf in verschiedene Konzentrationslager deportiert. Tara fährt zwar zu diesem Anlass mit, doch sie ist furchtbar wütend und hält mit ihren zornigen Äusserungen nicht hinter dem Berg.

„Ich habe doch wohl genauso viel Recht, Deutschland zu hassen oder zu lieben wie Papa, oder etwa nicht? Jeder hat ja wohl das Recht auf seine eigenen Gefühle. Und ich fühle ebenso! Deutschland hat meine Kindheit verpestet und mich traumatisiert!“

Tara reist alleine wieder ab. Mutter Iezebel und Sara lassen den Empfang über sich ergehen und beim Essen erfährt Sara von ihrem Tischnachbar, dass dieser vor vielen Jahren ihrem Vater bei der Aktensuche im Archiv geholfen hat und, dass drei sehr persönliche Original-Briefe verschwunden sind, die zwischen Hermans Mutter Zewa und einer Freundin geschrieben worden sind. Sara hört hier das erste Mal von diesen Briefen, die zu einem späteren Zeitpunkt noch eine wichtige Rolle spielen werden.

Zurück in den Niederlanden, wird Sara eines Morgens beim Joggen zuerst mit dem Auto von der Strasse abgedrängt und schliesslich vom Fahrer angefallen. Der Mann kennt ihren Namen, er beschimpft sie auf übelste Weise und drängt sie gegen einen Baum und der weitere Verlauf ist einfach nur widerlich. Die Frau steht Todesängste aus und vermag sich nicht zu wehren. Wird sie mit dem Leben davonkommen? War’s das jetzt? Als ein Radfahrer das verlassene Auto mitten auf dem Weg stehen sieht, fängt er an zu rufen und der Peiniger lässt von Sara ab und sie kann um Hilfe schreien. Doch „das Tier“, wie Sara ihn später nennt, kann unerkannt entkommen. Jacob bringt Sara ins Krankenhaus, wo ihr lädierter Knöchel, die Schürfungen und Prellungen behandelt werden. Aber wie behandelt man eine geschundene Seele, eine zu tiefst verletzte Würde? Mit einem Vollbad lässt sich dieser Dreck nicht wegwaschen. Was genau im Wald passiert ist, erfährt Jacob zu diesem Zeitpunkt nicht, deshalb ist seine Wut bald wieder verraucht. Sara beschliesst zur Polizei zu gehen, nachdem ihr Jacob dazu geraten hat und dort kann sie der Beamtin nichts verheimlichen.

Es vergehen einige Tage, als Saras Mann sie schonend auf einen Brief des gemeinsamen Sohnes Mitch vorbereitet. Mitch, der an der Berkley Universität ein Jahr lang Filmwissenschaften studiert, teilt seiner Familie in einem Brief mit, dass er sich zur Ausbildung bei den US Marines gemeldet hat. Dazu muss der Leser wissen, dass beide Kinder, Mitch und Tess in den Staaten geboren wurden. Sara ist fassungslos und wütend. Während Saras Mann meint, er wollte, er hätte als junger Erwachsener diesen Mut gehabt, kann und will Sara das nicht akzeptieren. Wie kann eine Mutter diesen Schritt ihres Kindes akzeptieren?

„Unsere Beziehung war so eng, dass ich ihm alles verzeihen würde. Bis auf das Sterben.“

Kurzerhand packt sie ihre Koffer und setzt sich in das nächste Flugzeug. Sie muss alles versuchen, um ihren Sohn von seinem Vorhaben abzubringen und das kann nicht mit Worten am Telefon geschehen, sie muss ihren Sohn sehen, ihm ins Gesicht blicken können, um ihn zur Vernunft zu bringen.

Mitch ist nicht gerade begeistert, seine Mutter auf dem Uni-Gelände zu sehen, obwohl er sie von Herzen liebt. Mutter und Sohn stehen sich sehr nahe. Mitch ist wild entschlossen, die Ausbildung bei den Marines, die dreizehn Wochen dauern soll, anzutreten. Wie froh ist Sara, als wider Erwarten Jacob vor ihr steht, den sie noch kurz zuvor am Telefon sprach und ihn in Amsterdam wähnt. Moralische Unterstützung und eine Schulter zum Anlehnen kann sie jetzt dringend gebrauchen. Ihr Mann hat sich aber eher auf die Seite von Mitch geschlagen und Sara muss einsehen, dass die Gespräche Mitchs Entschluss nicht erschüttern können. Die Eltern werden mit Tess noch einmal nach Kalifornien zurückkehren, um mit Mitch die letzten drei Tage, vor dem Einzug ins Boot Camp, zu verbringen.

Der Sohn lässt seine Jugend hinter sich und tritt durch das Tor einer anderen Welt, wo man gedrillt und zusammengebrüllt wird, um eventuell nach dreizehn Wochen, sofern man die übersteht, mit der Graduation abzuschliessen, um danach an irgendeinen Kriegsschauplatz dieser Welt geschickt zu werden. Mitch möchte nach Afghanistan.

Während der Sohn seine Ausbildung beginnt, bricht in Europa die Hölle über die Familie herein. Nachts dringen Einbrecher ins Haus ein, überraschen zuerst die dreizehnjährige Tess und drängen sie anschliessend ins Schlafzimmer der Eltern. Was dann passiert, sei hier nicht verraten, aber nun wird der Roman vollends zum Thriller. Wie ein unheilbares Krebsgeschwür, das sich durch den Körper frisst, dringt das Unheil in diese Familie ein und die Qualen, die die Beteiligten durchmachen und aushalten müssen, kann man sich gar nicht vorstellen.

Was neben den Verletzungen Jacobs das Schlimmste ist, keiner weiss genau, was die Eindringlinge mit Tess angestellt haben, als man sie wieder aus dem Schlafzimmer zerrte. Sara und Jacob können es nur ahnen und gehen fast zugrunde, denn Tess zieht sich nur in ihr Schneckenhaus zurück und spricht nicht einmal offen mit der Polizei über das Erlebte. Keiner dringt zu diesem Mädchen, das mehr und mehr nur noch ein Schatten seiner selbst ist, vor. Diese Ohnmacht ist schrecklich, wenn man nur daneben stehen kann und einem die Hände gebunden sind.

„Und da denke ich an Tess, die oben sitzt, allein mit ihrem Computer. Diese ganze Zärtlichkeit macht mich plötzlich rasend. Ich darf nicht weinen, ich sollte knurren, ich sollte böse sein. Wenn ich weine, verrate ich Tess. Weinen bedeutet, dass man dem nachtrauert, was kaputt und weg ist, weinen bedeutet Kapitulation, Jämmerlichkeit, und das gönne ich ihnen nicht, diesen Schweinen. Wir sind noch da.“

Und was hat Opa Herman Silvestein, der im Krankenhaus gestorben ist, mit der ganzen Geschichte überhaupt zu tun? Das kommt Puzzleteil um Puzzleteil zu Tage, als Iezebel anfängt, das Büro ihres verstorbenen Mannes aufzuräumen um sich auf diese Weise von ihrem Ehemann zu lösen, als sie von einem Prozess erzählt, den Herman wegen des Wintergartens, bei dem gepfuscht wurde, gewonnen hat. Als Tess und danach Sara einen Ordner ihres Vaters nochmals durchblättern und etwas sehen, das sie erstarren lässt und der 2. Weltkrieg spielen eine gewichtige Rolle. Und Mitch, der von den Ereignissen zu Hause lange nichts weiss, ihm ist vielleicht zu verdanken, dass ein junges Pflänzchen, wie Tess, nicht frühzeitig verdorrt und zugrunde gegangen ist.

Schluss, Klappe, Aus. Mehr kann und will ich nicht verraten.

Ich gestehe, dass dies der erste Roman ist, den ich von der niederländischen Autorin, Jessica Durlacher, gelesen und buchstäblich verschlungen habe. Vielleicht ist es gut so, denn was die Autorin da vorlegt, hat mich wirklich umgehauen und all meine Erwartungen übertroffen. Der Roman ist schlichtweg grandios. Ein Marathon könnte nicht anstrengender und qualvoller sein, wenn die Muskeln verhärten und schmerzen. So litt ich mit Sara, denn was heisst es für eine Mutter, wenn der Sohn mitteilt, dass er in die Armee will, wenn man die vielen grausigen Kriegsbilder kennt, die einen ohnmächtig machen? Wie furchtbar ist es für eine Mutter mitansehen zu müssen, wie die Tochter innerlich aufgefressen wird und sie ihr nicht helfen kann? Zeitenweise krampfte sich mir das Herz zusammen und hin und wieder löste sich eine Träne aus meinen Augen. Ich war erschüttert, dann wieder überrascht, wie sich wieder ein Puzzleteil passend in das nächste fügte. Wie bei einem Erdbeben wird die ganze Familie durchgeschüttelt und gerüttelt, um irgendwann, irgendwie wieder auf festen Boden zu stehen zu kommen. In diesem Roman wird Geschichte und Thriller perfekt miteinander verbunden. Absolut empfehlenswert!

Frauen

Eva Baronsky

Magnolienschlaf

Jelisaweta, eine junge Russin, 23 Jahre alt, kommt für einige Wochen nach Deutschland, um die über achtzigjährige Wilhelmine zu pflegen, die seit einem Unfall ans Bett gefesselt ist. Am Anfang scheinen die beiden Frauen gut miteinander auszukommen, bis Wilhelmine eines Tages hört, wie Jelisaweta ein Telefonat führt – in russischer Sprache. Von diesem Augenblick an kommen der alten Frau wieder Erlebnisse aus dem 2. Weltkrieg hoch und sie fängt an, Jelisaweta zu beleidigen und so Einiges um sich zu werfen. Die junge Frau ihrerseits schlägt mit russischen Schimpftiraden zurück und fängt an, vor Wilhelmine, die hilflos im Bett liegt, Schmuckstücke aus der Schatulle an sich zu nehmen. Ein erbitterter Kampf zwischen den zwei so unterschiedlichen Frauen beginnt. Bis sich Wilhelmine Jelisaweta doch anvertraut. Sie erzählt ein Geheimnis, das niemand in ihrer Familie kennt.

Das Buch erzählt die Geschichte von zwei so unterschiedlichen Frauen, aus zwei verschiedenen Generationen und Kulturen. Was hat Wilhelmine vor und nach dem Krieg durchgemacht? Wie lebt Jelisaweta in Russland und wie ergeht es dieser Frau in Deutschland, wo sie schon einmal gearbeitet hat? Es geht hier um Frauenschicksale, die so scheint es, nichts miteinander zu tun haben und doch miteinander verknüpft sind. Und ausserdem lernen wir einmal mehr, dass Kriege Unsinn sind und keine Sieger, sondern nur Verlierer hervorbringt.