Meine Mutter ist ein Fluss

Meine Mutter ist ein Fluss

Die Ich-Erzählerin, im Debütroman von Donatella Di Pietrantonio, erzählt während den Besuchen bei ihrer Mutter deren Lebensgeschichte. Die Mutter leidet an Demenz und langsam frisst die Krankheit ihre Erinnerungen und ihre Selbständigkeit auf. Ihre Tochter wird zu ihrem Gedächtnis und mit ihren eigenen Geschichten und denen die ihr einst ihre Mutter erzählt hat, versucht sie eine Brücke zu ihrer Mutter zu schlagen und zu ihr vorzudringen.

Esperina Viola, wurde im Jahr 1942 geboren. Mit vier Schwestern wächst sie in einem kleinen Dorf in den Bergen der Abruzzen auf. Die Bauernfamilie bewirtschaftet ihren Hof und das Land. Ihr Leben ist entbehrungsreich, die Arbeit ist hart.

Mit achtzehn Jahren heiratet Esperina Cesare und und wohnt erst bei den Eltern und dann bei den Schwiegereltern, bevor sie sich einen eigenen Hof leisten können, der noch während Jahren verschuldet ist. Die Schwestern leben mit ihren Familien nur einen Steinwurf entfernt. Die Verwandtschaft die so nah ist, wird manchmal zur Enge, denn nicht nur freudige Momente sind ihre Begleiter, sondern auch Streitigkeiten.

Karger Boden ist zu bewirtschaften, der wenig hergibt, so dass die Männer irgendwann gezwungen sind, Arbeit in der Fremde zu suchen. Sie ziehen als Saisonniers in den Norden und kehren erst nach Monaten im Ausland zur Familie zurück.

„Unsere Emigranten waren Saisonarbeiter: Sie kamen vor Weihnachten zurück und brachen im Februar wieder auf, nach Deutschland oder in die Schweiz. In den letzten Januartagen verschlechterte sich die Stimmung im Haus merklich, weil alle auf den neuen Vertrag warteten, ein gelbes Blatt mit deutschem Text, von dem wir nur das Datum verstanden, an dem er sich in der Farik einfinden musste. Grossvater Rocco war nicht sehr begeistert von diesen europäischen Ländern, er hätte Amerika gewählt und hat stets beklagt, dass es in der Familie nicht wenigstens einen „Merikaner“ gab.“

In dieser archaischen Welt bleibt kein Platz für Gefühle und Zärtlichkeit, so auch nicht zwischen Esperina und ihrer Tochter. Das macht der Tochter auch heute noch zu schaffen, aber für Vorwürfe ist es zu spät und ein offenes Gespräch zwischen Mutter und Tochter wird es nicht mehr geben.

„Ich kam nicht als erste in ihren Gedanken, und das konnte ich nicht ertragen. Als Erwachsene habe ich es ihrer Geschichte zugeschrieben, aber ich habe nicht genug daran geglaubt. Für mich hätte sie ungehorsam sein müssen, mich lieben gegen alle. Partisanin sein. Stattdessen waren da das Heu, der reife Weizen, das hungrige Vieh.“

Donatella Di Pietrantonio hat ein sehr poetisches und sensibles Buch geschrieben, ohne sentimental oder kitschig zu werden. Sie beschreibt auf eindringliche Weise das harte Leben von Bauernfamilien in den Abruzzen, einer Region, die von Armut geprägt war und wo ein Überleben ohne den Zusammenhalt der Familie und der Verwandten kaum möglich gewesen wäre. Der Autorin ist ein leises Buch, aber ein grossartiger Roman gelungen, den ich nur empfehlen kann.

Donatella Di Pietrantonio wurde in Arsita, einem kleinen Dorf in den Abruzzen geboren und lebt heute in der Nähe von Pescara. Ihr Debütroman gewann kurz hintereinander mehrere renommierte italienische Literaturpreise.

Donatella Di Pietrantonio: „Meine Mutter ist ein Fluss“
erschienen im Kunstmann Verlag, 2013
Übersetzung Maja Pflug
171 Seiten
ISBN 978-3-88897-817-3