Der Unionsverlag bringt immer wieder deutsche Übersetzungen von einem meiner Lieblingsautoren heraus. Hartmut Fähndrich übersetzt die Bücher des ägyptischen Nobelpreisträgers Nagib Machfus seit Jahren aus dem Arabischen ins Deutsche. Gottseidank. So war ich sehr gespannt, was mich in „Das junge Kairo“ erwarten würde, das 1945 zum ersten Mal im Original erschienen ist, denn der Klappentext hat mich sehr neugierig gemacht.
Machgub Abdaldaim ist Student der Philosophie und kommt aus einfachen Verhältnissen. Zu seinen Eltern hat er kein inniges Verhältnis und so hält er sich während seiner Kindheit lieber auf der Strasse auf, mit den entsprechenden Umgangsformen. Er hat drei Freunde an der Universität, jeder von ihnen ist grundverschieden und Machgub tut ihre Ansichten und Visionen meist nur als „Quatsch“ ab. Quatsch ist seine Philosophie fürs Leben.
Vier Monate vor Studienabschluss wird er an das Krankenbett seines Vaters gerufen. Zuhause in al-Kanatir findet er seinen Vater vor, der Mühe beim Sprechen hat. Ausgerechnet jetzt musste sein Vater einen Schlaganfall erleiden. Er bemitleidet nicht seinen Vater, sondern sich selbst. Seine Eltern eröffnen ihm, dass er höchstens noch mit einem Pfund unterstützt werden könne. Denn das ist klar, dass der Vater seine Stelle verlieren wird. Wovon sollte er leben?
Machgub kann sich das Studentenwohnheim, wo er seine Freunde um sich hat, nicht mehr leisten und sucht sich eine billigere Bleibe. Die Freunde glauben, dass er sich ein Liebesnest eingerichtet habe. Eine Freundin und Vergnügungen liegen jedoch nicht mehr drin. Er muss sein Zimmer selber aufräumen und die Wäsche besorgen. Als Mahlzeiten muss Bohnenmus und Fladenbrot reichen.
„Das neue Leben war hart und mühsam. Natürlich würde er seine Studien fortsetzen. Hartnäckig und entschlossen würde er das tun. Aber der Hunger würde ihn nicht in Ruhe lassen, und an Entspannung war nicht mehr zu denken.“
Für die Abschlussarbeiten benötigt er noch ein wichtiges Lateinbuch. Das Geld reicht hinten und vorne nicht. Da kommt ihm die Idee, er könnte einen angesehenen Verwandten, der im Ministerium arbeitet, in dessen Villa aufsuchen. Dieser erkennt den jungen Mann nach all den Jahren kaum wieder und ist zudem in Eile. Machgub versucht, über dessen Tochter sich in die Familie einzubringen, doch er begeht einen gehörigen Fehler. Auch bei einem ehemaligen Nachbarn und Schulgefährten, Al-Ichschidi, der einen guten Posten im Ministerium bekleidet, erntet er nur abschätzige Blicke und erhält eine Adresse, wo er sich als Journalist bewerben könne.
„Al-Ichschidi musterte ihn mit seinen runden Augen und begriff, dass er hungrig war. Doch er war nicht daran gewöhnt, etwas zu geben, er hatte kein Verhältnis zur Kunst der Nächstenliebe.“
Der Magen knurrt gewaltig, unser Protagonist magert ab, wird bleich, die Kleidung immer schäbiger. Er überwindet schliesslich seinen Stolz und pumpt einen seiner Freunde an, der ihm, ohne lange nachzudenken, den fehlenden Betrag aushändigt.
Machgub hat es nach dem Studium satt, für ein Butterbrot im Journalismus zu arbeiten. So lässt er sich auf einen Handel ein, indem er eine Frau ehelichen soll, deren Ehre gerettet werden muss. Im Gegenzug soll er eine Stelle im Ministerium bekommen, auf der sechsten Gehaltsstufe. Einzige Bedingung ist, dass der Geliebte seine Frau weiterhin besuchen kann. Was erlebt er für eine Überraschung, als er seine zukünftige Ehefrau das erste Mal erblickt!
Die Armut ist auf einen Schlag vorbei, das junge Ehepaar leistet sich teure Kleidung, vor allem nachdem sie sich entscheiden, sich nicht mehr nur in ihrer Wohnung zu verkriechen. In der gehobenen Gesellschaft kann man gute Kontakte knüpfen. Wohl ist Machgub nie ganz bei der Sache, denn seine Eltern wissen nach wie vor nichts von seiner Heirat und seiner Arbeit im Ministerium. Dabei sind sie dringend auf seine Unterstützung angewiesen.
Worauf hat Machgub sich bloss eingelassen? Immer wieder überkommt ihn die Angst, es könnte einer entdecken, wie er zu seinem Posten gekommen ist. Seine Freunde hat er bereits verloren, manchmal fühlt er sich ohne sie sehr einsam. Dann schiebt er seine Ängste und auch Gewissensbisse, die er gegenüber seinen Eltern hat, mit einem „Quatsch“ wieder beiseite. Die Gier nach Luxus und Ansehen hat ihn voll im Griff. Es geht nur noch um Ansehen und Macht und die Frage, wie man das überschwängliche Leben finanzieren kann.
„Auch wenn er nie irgendjemandes Freundschaft gesucht hatte, so hatten doch andere seine Freundschaft gesucht und ihm das Gefühl vermittelt, mit anderen Menschen verbunden zu sein. Jetzt jedoch, da die dünnen Fäden, die ihn mit anderen verbanden, einer nach dem anderen rissen, stürzte er in eine tiefe Einsamkeit.“
In wenigen Monaten erreicht er eine Position im Ministerium, von denen andere ein ganzes Leben lang träumen. Dann macht sich Unruhe breit, man munkelt bereits, dass eine neue Regierung gebildet werden soll. Das Paar ist abhängig von ihrem Gönner, fällt dieser, stürzt auch ihr neues Leben des Luxus wie ein Kartenhaus ein. Können sich die wenigen eingeweihten Personen, die vom Handel profitieren jetzt noch trauen oder ist Vorsicht geboten? Die Ereignisse überstürzen sich und die Spannung steigt.
Nagib Machfus hat mich mit diesem Roman erneut überzeugt und so konnte ich das Buch kaum mehr aus den Händen legen! Es spielt keine Rolle, dass die Handlung anfangs 1920er-Jahre spielt, ganz im Gegenteil, denn auch damals stand Ägypten vor grossen politischenVeränderungen. Anschaulich bringt er uns ein System näher, in der gute Beziehungen das Wichtigste ist, um zu einem gehobenen Posten zu kommen. Doch ist es dies wert, wenn man sich dadurch in eine Abhängigkeit begibt, aus der man kaum mehr heraus findet? Der Autor hat eine grossartige Gesellschaftsstudie vorgelegt.