Fast eine Liebe

Fast eine Liebe

Bei meinen Recherchen und meiner Suche nach Büchern von und über Annemarie Schwarzenbach stiess ich auf „Fast eine Liebe“ der Schweizer Autorin Alexandra Lavizzari. Ein Buch über die Begegnung von Annemarie Schwarzenbach mit Carson McCullers.

Annemarie Schwarzenbach kam 1908 als drittes Kind von fünf Kindern von Alfred Emil Schwarzenbach und Renée Schwarzenbach geb. Wille, in Zürich zur Welt. Ihr Vater war anfangs des 20. Jahrhunderts, dank seiner Seidenweberei, einer der reichsten Industriellen der Schweiz. Ihre Mutter stammte aus einer militärischen Familie, war ihr Vater doch General der Schweizer Armee.

Das Verhältnis zu den Eltern war zeitlebens angespannt. Der Vater war von den schriftstellerischen Ambitionen seiner Tochter nicht begeistert und noch weniger, als sie sich im Hause von Thomas Mann aufhielt. Im Gegenzug machte sich Annemarie nichts aus den Geschäften ihres Vaters, ja kritisierte ihn sogar öffentlich. Auch die Mutter stellte ihre Tochter ständig unter Druck und versuchte ihre lesbischen Neigungen zu unterbinden, da sie befürchtete, dass Annemarie der Familie Schande bringen könnte.

Annemarie war nicht nur Schriftstellerin, sondern auch Journalistin und somit viel auf Reisen. Sie hielt es nie lange an einem Ort aus und fühlte sich am wohlsten, wenn sie in ihrem Haus in Sils, im Engadin, weilen konnte. Sie war es, die den Kontakt zu den Manns suchte und war schliesslich mit Klaus und Erika Mann befreundet. Erika, war ihre grosse Liebe, doch Erika hielt Annemarie diskret auf Distanz. Klaus hingegen, brachte sie mit Drogen in Kontakt. Mehr als eine Entziehungskur blieb erfolglos. Auch als sie mit ihrer Freundin Ella Maillart über den vorderen Orient bis nach Afghanistan reiste, war sie nicht geheilt. Ella Maillart trennte sich schliesslich in Afghanistan von Annemarie, da diese von den Drogen nicht los kam.

Inzwischen waren Klaus und Erika Mann nach New York gegangen. Annemarie reiste mit dem Schiff von Portugal nach New York und wollte die Freundschaft wieder auffrischen. Es war schliesslich Erika, die ihr 1940 eine junge amerikanische Schriftstellerin, namens Carson McCullers vorstellte. Die beiden Frauen verstanden sich gut, hatten sie doch gleiche Interessen, wie die Musik und die Literatur und Carson beneidete Annemarie um ihre Reisen, die sie alleine im Auto unternommen hatte. Sie war begeistert von ihrer neuen Bekanntschaft.

Carson McCullers, 1917 geboren und auf den Namen Lula Carson getauft, wurde von ihrer Mutter schon als Baby als Wunderkind bezeichnet und glaubte, dass ihre Tochter einst eine grosse Konzertpianistin werden würde, noch bevor, diese überhaupt jemals ein Klavier berührt hatte. Carson, wie sie sich, nach einem Aufenthalt bei Verwandten in Chicago, nannte, fühlte sich aber auch dem Wort nahe und fing schon früh an zu schreiben, nahm aber auch Klavierunterricht. Die Mutter unternahm alles, dass ihre Tochter an der Musikschule Juillard eine Ausbildung bekam. Mit siebzehn Jahren ging Carson alleine nach New York, aber irgendwie war ihr das ganze Geld, das ihr die Mutter mitgegeben hatte, gleich nach ihrer Ankunft, abhandengekommen. Carson glaubte nicht mehr an eine Musikkarriere, nachdem sie mit fünfzehn Jahren lange mit einem rheumatischen Fieber, das irrtümlicherweise als Lungenentzündung diagnostiziert wurde, krank im Bett lag und dadurch sehr geschwächt war.

Zum Zeitpunkt, als sich Annemarie und Carson zum ersten Mal begegneten, war Carson bereits mit Reeves McCullers verheiratet und hatte ihren ersten Roman „Das Herz ist ein einsamer Jäger“ veröffentlicht. Als Annemarie Carsons Mann kennenlernte, der ihr sehr sympathisch war, hielt sie sich gegenüber Carson erst recht zurück, ausserdem war sie damals in einem schlechten physischen und psychischen Zustand und viel zu sehr von ihrer damaligen Geliebten Margot von Opel vereinnahmt. Von Erika Mann wurde sie nach wie vor zurückgewiesen, was sie immer wieder in tiefste Depressionen stürzte.

Annemarie Schwarzenbach, die von Erika Mann ständig auf Distanz gehalten wurde, befand sich nun selbst in dieser Position, in der eine jüngere Frau zu ihr aufblickte, sie verehrte und ihre Nähe suchte.

Carsons Karriere wurde vorangetrieben, Annemarie hingegen wurde allmählich unruhig und wollte die USA verlassen. Sie fühlte sich nie wirklich wohl in Amerika und wollte reisen oder ins geliebte Engadin zurückkehren. Annemarie unternahm während ihrer Zeit in den USA zwei Selbstmordversuche. Im entscheidenden Moment waren ihre Freunde Klaus und Erika Mann nicht für sie da und hatten anderes zu tun. Carson, ihre amerikanische Freundin, obwohl selbst immer wieder krank, reiste zu ihr und war an ihrer Seite. Die Liebe der beiden Frauen bestand hauptsächlich in Briefform. Nach Aufenthalten in Afrika kehrte Annemarie in die Schweiz zurück in ihr Haus im Engadin, wo sie wieder an einem Roman arbeiten wollte. Bei einem Fahrradunfall stürzte die Autorin so tragisch, dass sie, nach fünf Wochen, an den Folgen des Unfalls starb. Annemarie Schwarzenbach war zu diesem Zeitpunkt 34 Jahre alt.

Alexandra Lavizzari gibt einen grossartigen Einblick in das Leben dieser beiden Autorinnen und ihr schwieriges und tragisches Leben. Der Titel „Fast eine Liebe“ bringt ihre Beziehung zueinander mit diesen drei Worten auf den Punkt. Wäre Erika Mann nicht gewesen und Annemarie psychisch stark, wer weiss, wie sich die Freundschaft der beiden Frauen entwickelt hätte. Gerne habe ich die Romane von Carson McCullers gelesen, wusste allerdings über die Autorin eher wenig. Sie war keine einfache Frau und ging, nachdem sie erfolgreich wurde, vielen Leuten auf die Nerven. Nicht zuletzt auch durch den ständigen Alkoholkonsum, den sie in rauhen Mengen zu sich nahm. Obwohl sie mehrere Hirnschläge erlitt, einen bereits in jungen Jahren, schrieb sie vier Romane, Bühnenstücke, Novellen und etliche Erzählungen.

Nach der Lektüre bin ich auch neugierig auf das Werk von Annemarie Schwarzenbach, von der ich bisher nur wenig gelesen habe und von der es unzählige Reisereportagen, etliche Romane und Erzählungen gibt. Carson erinnerte sich an Annemarie, mit der sie sich seelenverwandt fühlte, mit folgenden Worten:“Ich weiss von keiner Freundin, die ich mehr geliebt habe.“

Die Werke dieser beiden Autorinnen werden einen Platz nebeneinander in meinem Regal erhalten – ungeachtet des Alphabets.

Alexandra Lavizzari, die Autorin dieses Buches, wurde in Basel geboren und hat Ethnologie und Islamwisschenschaften studiert. Ebenfalls in der edition ebersbach erschienen sind 2005 ihre biographischen Essays über das Leben berühmter Kindsmusen „Lulu, Lolita und Alice“. Wer noch mehr über die Autorin erfahren möchte, findet auf dem Blog „buzzaldrins Bücher“ eine lesenswerte Rezension zu ihrem Roman „Mädchen IV mit Leguan  und ein Interview mit der Autorin.

Alexandra Lavizzari: „Fast eine Liebe“
Verlag edition ebersbach
ISBN 978-938740-55-2

Wenn einer recherchiert …

„Vortrag über das Leben von Annemarie Schwarzenbach“ oder so ähnlich, las ich kürzlich in unserem Kirchenblättchen. Der Vortrag über die Schweizer Autorin und Journalistin Annemarie Schwarzenbach wochentags am Morgen statt. Super, da konnte ich nicht hin, obwohl mich der Vortrag interessiert hätte.

Am nächsten Abend rief mich meine Mutter voller Begeisterung an und erzählte von diesem Anlass, der ihr Interesse für Annemarie Schwarzenbach geweckt hat. Ich versprach, dass ich ihr Bücher über sie besorgen werde. Eventuell fand sich etwas in meinem Bücherregal, denn ich hatte schon Reiseaufzeichnungen gelesen.

Bei einer Räumungsaktion sind wahrscheinlich die Titel, die ich hatte, meiner Entsorgungswut zum Opfer gefallen, denn ich fand nichts mehr. So führte mich mein Weg nach der Arbeit ins Antiquariat vor Ort. Der Laden hat System, so ist doch mindestens eine Wand den Schweizer Schriftstellern gewidmet und die Autoren sind alphabetisch eingereiht. Dadurch wurde ich schnell fündig, allerding war nur ein Buch vorhanden, aber das ist schon mal besser als gar nichts.

Dann suchte ich im Internet nach weiterem Material und stolperte auf die Website des Museums Strauhof, in Zürich. Im Jahre 2008 war Annemarie Schwarzenbach eine Ausstellung gewidmet, wo ich dann auf Publikationen stiess, von der mich selber eine interessierte „Fast eine Liebe“ Annemarie Schwarzenbach und Carson McCullers, von Alexandra Lavizzari. Das Buch ist nur noch antiquarisch erhältlich, obwohl es erst 2008 erschienen ist. Die Suche im Internet war erfolgreich. Dann ging ich in eine der beiden Buchhandlungen im Ort. Es gibt einen Verlag (Huber Verlag), der sich stark um die Klassiker der Schweizer Literatur bemüht, d.h. auch um Autoren aus der italienischen und französischen Schweiz, die leider teilweise in Vergessenheit geraten sind oder die man kaum kennt. In dieser Reihe fand ich eine Biographie und als ich zahlen wollte, kam ich mit dem Buchhändler ins Gespräch.

„Annemarie Schwarzenbach? Sie wird immer noch gelesen“, stellte der Mann fest und ich erklärte ihm, weswegen ich nach Büchern von und über die Autorin suchte. Er meinte, er hätte bestimmt noch weitere Titel von ihr im Regal und begann selber zu suchen.

„Das glückliche Tal“ musste er mir nicht mehr zeigen, das hatte ich bereits antiquarisch besorgt (viel Geld gespart!). Dann zeigte er mir einen Fotoband von Renée Schwarzenbach-Wille. Den schaute ich mir einmal genauer an und las das Kurzporträt über Renée. Es war die Mutter von Annemarie, der Name Wille geht auf ihren Vater zurück, der während des 1. Weltkrieges General der Schweizer Armee war und Renées Mutter war eine „von Bismarck“. Und so geht das dann immer weiter mit diesen grossen Namen. Wir begannen uns über General Wille zu unterhalten. „Wenn sie antiquarisch von Meienberg „Die Welt als Wille & Wahn“ finden, das Buch ist sehr interessant und ich kann es Ihnen wärmstens empfehlen“, meinte der Buchhändler.

„Sprechen Sie von Niklaus Meienberg?“ (Anmerkung: das war einer der Schweizer Journalisten des 20. Jahrhunderts), fragte ich.

„Ja, genau, den“, bekam ich zur Antwort. Ich bedankte mich für den Tipp und wohin meine Fahrradtour wohl führte, ist leicht zu erraten.

Ich stürzte also erneut ins Antiquariat, grüsste und sagte, dass ich schon wieder da sei, eilte vor das „Schweizer Schriftsteller“-Regal vor den Buchstaben M und …

… auch dieses Buch gab es hier, (unglaublich was man alles so leicht findet) und es sah aus, als hätte es kaum jemand aufgeschlagen!

Ich erklärte dem Antiquar, weshalb ich das Buch wolle und wie toll es sei, dass ich es gleich gefunden hätte. Er überlegt einen Moment, hält mir seine hohle Hand hin, und sagt wie aus der Pistole geschossen: „Hundert Franken!“

Lachend entgegnete ich: „Tut mir leid für Sie, zu spät, das Buch ist mit vier Franken angeschrieben!“ Zahlte und wünschte einen schönen Abend.

Ja, und wenn ich noch weiter über Annemarie Schwarzenbach recherchiere und mir wieder einer einen Tipp gibt, dann hört das nie auf und die Kreise dehnen sich aus, verästeln sich wie das Netz von Blutadern und dann radle ich zwischen Buchhandlung und Antiquariat hin und her. Denn, welchen Namen hatte Annemaries Grossmutter mütterlicherseits? Gräfin von Bismarck – hochinteressant – muss ich gleich mal recherchieren!