Jetzt neu: Das Buch

Ich muss euch diese Geschichte, die ich heute bei „lesefieber“ entdeckt habe, und die in der Diogenes Vorschau Frühling 2013 abgedruckt ist, auch noch vermitteln. Anthony McCarten, der grossartige neuseeländische Autor, über den ich hier schon mehrmals berichtet habe, hat sie geschrieben:

Anthony McCarten

Jetzt neu: Das Buch

Ich habe da eine Theorie. Stellen wir uns einmal vor, ein Tüftler namens Johannes Gutenberg hatte im Jahre 1439 das iPad erfunden, und ›Das Buch‹ habe Steve Jobs sich eben erst ausgedacht, das neueste Wunderding von Apple. Statt uns Sorgen um die Zukunft des Buches zu machen, waren wir jetzt krank vor Sorge um die Zukunft des E-Books. Und hier hatten wir nun Steve Jobs, der uns davon überzeugt, dass sein neues Produkt das überlegene ist … ≫Ladies and Gentlemen, willkommen in Palo Alto, Kalifornien. Ich bin Steve Jobs. Wir alle wissen, es kommt immer wieder einmal ein revolutionär neues Produkt auf den Markt, und anschliessend ist nichts mehr, wie es war! Aber bevor ich davon erzähle, will ich Ihnen erst einmal eine Frage stellen: Wenn Sie eine Geschichte lesen wollen, einen Roman zum Beispiel, geht es Ihnen da nicht auf die Nerven, dass Sie dafür ein kaltes, schweres, lebloses Stück Metall in der Hand halten müssen? Eins, das dauernd aufgeladen werden muss? Mit dem Sie sich nicht in die Badewanne trauen? Und das Sie nicht, wenn Sie die Nase voll davon haben, quer durchs Zimmer schleudern können? Nun, wir bei Apple sind stolz darauf – ja wir sind regelrecht begeistert –, dass wir Ihnen heute ein revolutionäres, neuartiges Produkt anbieten können, das wir ›Das Buch‹ nennen! Und hier ist es. (Hält es in die Höhe.) Grossartig, was? ›Das Buch‹. Ist das nicht einfach schön? Und jetzt fragen Sie mich, was ist neu daran? Zuerst einmal: Es kann jedes Format haben. Jede Farbe. Jedes hat eine ganz eigene Identität. Ausserdem funktioniert es ohne Batterie. Ich wiederhole: ohne Batterie. Von jetzt an wird jeder Titel seinen unverwechselbaren Umschlag haben, seinen eigenen dreidimensionalen Raum einnehmen ja zum Teufel, Sie können sogar mit einem Stift draufschreiben, und den Stift bekommen Sie von uns kostenlos dazu. Es ist … sofort lieferbar! Und wenn Sie Ihr eigenes Exemplar bekommen, dann fühlen Sie einmal, wie das in der Hand liegt, wie das ist, wenn man es aufschlägt. Ein unglaubliches Gefühl. Und es hat sogar … seinen eigenen Geruch! Und als wäre das nicht schon genug, stellen wir Ihnen heute ein weiteres Produkt vor, wie die Welt es noch nicht gesehen hat, und nennen es ›Das Bücherregal‹ – das universelle Speichermedium (oder USM), in dem Sie Ihre Bücher aufbewahren können. Und wenn Ihre Freunde vorbeikommen, dann können sie jetzt erstmalig sofort sehen, was Sie gelesen haben! Wir sind überzeugt, das wird sogar Gespräche in Gang bringen. Sie wissen doch noch, wie das war, als man sich miteinander unterhielt? Ladies an Gentlemen, wir sind davon überzeugt: Das Buch ist das beste Medium zur Literaturvermittlung, das je erfunden wurde. Wir lieben es … und wir wissen, auch Sie werden es lieben! Ich bin Steve Jobs. Ich danke Ihnen.≪

Aus dem Englischen von Manfred Allié

„Zürich liest“ 2012 – Teil I

Gestern startete das viertägige Literaturfestival „Zürich liest“ 2012. Heute war ich erstmals an zwei Veranstaltungen dabei. Ich habe mir extra frei genommen, denn das Lunchkino, wie es der Name schon sagt, beginnt kurz nach Mittag. Auf dem Programm stand der Film „Death of a Superhero“, nach dem gleichnamigen Roman von Anthony McCarten.

Bereits als ich mein Ticket abholte entdeckte ich schon einen Autor, nicht Anthony McCarten, aber Jan-Philipp Sendker, dessen neuer Roman „Herzenstimmen“ auf dem Markt ist.

Noch hatte ich Zeit und schlenderte in der Gegend herum, die Flaggen des Literaturfestivals flatterten noch etwas zaghaft, das Festival war noch nicht so richtig in Gang, aber das wird sich noch ändern.

Und dann ging ich zurück ins Kino, der Vorhang wurde geöffnet und bald sass Anthony McCarten und die Moderatorin Monika Schärer sieben Sitze neben mir und dachten wohl, dass ich nicht ganz gewickelt war, in der vordersten Reihe zu sitzen, wo man sich einen steifen Hals holt und prompt sprachen sie mich deswegen auch an. Den Platzanweiser fragte ich noch vor der Vorstellung, ob das Haus ausverkauft sei. Er schüttelte den Kopf, also zog ich einige Reihen nach hinten. Eine kurze Einführung, sehr sympathisch sprach der Autor einige Worte deutsch, bevor er wieder ins Englische wechselte. Das Drehbuch hat er natürlich selber geschrieben und musste dafür seinen Roman komplett demontieren. Denn was für den Roman richtig war, passte für den Film nicht mehr.

In „Death of a superhero“ geht es um einen krebskranken Jungen, dessen ganze Leidenschaft das Zeichnen von Cartoons ist und dies äusserst brilliant. Anthony McCarten hat einen sehr persönlichen Bezug zu Krebs, denn seine Eltern – Vater und Mutter – sind an Krebs gestorben und wurden zuvor mehrere Monate zu Hause gepflegt. Er sagte selbst, dass er beim Schreiben geweint habe, denn dabei dachte er unweigerlich auch an seine drei Söhne. Auf den Plot für „Superhero“ ist er durch einen Zeitungsartikel gestossen: ein Psychiater hat für seinen vierzehnjährigen Patienten eine Prostituierte gesucht. Der Psychiater spielt denn auch im Film eine wichtige Rolle.

Dann wurde der Film gezeigt. Ich konnte den Streifen völlig unbelastet anschauen, denn ich habe „Superhero“, wie der Roman schlicht auf Deutsch heisst, noch nicht gelesen. Es gab witzige Szenen, man darf nicht vergessen, dass Anthony McCarten ja auch der Verfasser des Drehbuches zu Full Monty war, das zuerst als Theaterstück „Ladies night“ Erfolg hatte. Bei jenem Film konnte man Tränen lachen.

Zurück zu diesem Film, bei dem Lachen und Tränen nah beieinander liegen. Ich konnte mir die Tränen auch nicht verkneifen, Krebstod geht einem nahe, erst recht, wenn der Kranke ein Teenager ist, der noch gar nicht richtig gelebt hat.

Nach der Filmvorführung gab der Autor ehrlich zu, dass ihn der Film auch zu Tränen gerührt habe.

Er stand nun noch Rede und Antwort zu seinem neuen Buch „Ganz normale Helden“, das gar nicht als Fortsetzung zu „Superhero“ gedacht war. Er hatte vor, einen Roman über einen Vater zu schreiben, der seinen Sohn im Internet sucht. Dazu brauchte er einen Vater, eine Mutter und einen Sohn. Da er etwas langsam im Denken sei, sei ihm erst nach einiger Zeit in den Sinn gekommen, dass er ja eigentlich diese Personen, nämlich die Eltern Delpe und den älteren Sohn Jeff, bereits hatte und diese seit dem Ende von „Superhero“ arbeitslos geworden seien.

Er erzählte, wie er sich mit Online-Games beschäftigte und sich in einem Spiel, das seine Söhne spielten,  übte, denn zuvor hatte er genau so wenig Ahnung von Internet-Games, wie sein Protagonist John Delpe.

Er las dann noch eine Passage eines Gesprächs zwischen dem Avatar AGI und Merchant of Menace und schon war es Zeit, den Kinosaal zu verlassen, denn bald stand die nächste Vorstellung auf dem Plan. Beim Verlassen des Saals sprach ich Anthony McCarten an und erzählte ihm, dass ich seinen neuen Roman bereits gelesen habe und nun gerne auch noch „Superhero“ lesen werde. Als er mein Arbeitsexemplar sah, fragte er mich, ob ich Buchhändlerin sei. Ich erklärte ihm, dass ich blogge. Der Mann nahm sich für seine Leser Zeit, gab jedem die Hand. Er signierte die Bücher freihändig, sprach mit jedem ein paar Worte und verabschiedete sich beim vorwiegend weiblichen Publikum (Männer waren nicht viele auszumachen) auch wieder mit Handschlag.

Als er dann noch einen speziellen Eintrag in mein Buch schrieb, erklärte er noch, dass ihm ein 17-jähriges Mädchen in München gesagt habe, dass er ein Schleimer sei. Die Umstehenden lachten herzlich. Und ob Schleimer oder nicht, habe ich mich über seinen Eintrag natürlich sehr gefreut. Und wenn Schleimer, dann ein sehr charmanter und witziger, der mir als sympathischer Autor in Erinnerung bleiben wird.

Die Literaturreise ging weiter. Die Schriftsteller fielen mir fast vor die Füsse. Ich fotografierte gerade einen Baum, der mit seinem gelben Laub aus dem tristen Grau herausstach, da kam mir der Schriftsteller von „Keller fehlt ein Wort“ und „Polarrot“, Patrick Tschan, mit der Tochter seines Verlegers, entgegen. Ich war mir im ersten Moment nicht sicher, hörte dann seinen Basler Dialekt und dann wusste ich, dass ich mich nicht geirrt hatte.

Nachdem ich mich gestärkt hatte, besuchte ich in der Buchhandlung Bodmer die Galerie „Zum Granatapfel“ im ersten Stock, wo Künstlerinnen des Internationalen Lyceumclubs Zürich ein giftgrünes Buch mit 120 Bildern unter dem Namen „Mille Feuilles“ zusammengetragen haben. Der Ursprungsgedanke war, „prägt das Buch die Gesellschaft oder prägt die Gesellschaft das Buch“. Am liebsten hätte ich das Meisterwerk gleich eingepackt.

Über den Abend werde ich morgen berichten. Es war ein langer und spannender Tag, der mich, wie letztes Jahr schon, müde aber begeistert und voller toller Erlebnisse ins Bett sinken lässt.

Ganz normale Helden

Ein knappes Jahr ist es her, seit Donald Delpe, der Protagonist aus dem Roman „Superhero“ an seinem Krebsleiden verstorben ist. In „Ganz normale Helden“, bei Diogenes erschienen, kehrt der Leser zur Familie Delpe zurück und erfährt, wie es ihr heute geht.

Donnys Tod hat die Familienmitglieder durchgeschüttelt und jeder versucht auf seine eigene Weise, den Verlust zu verarbeiten. Vater Jim vergräbt sich hinter den Aktenbergen in der Kanzlei, wie er es immer getan hat. Mutter Renata fühlt sich in jeder Beziehung von ihrem Mann im Stich gelassen. Sie surft im Internet herum und unterhält sich mit jemandem, der sich GOTT nennt. Sie beichtet ihm ihre intimsten Gefühle und erhofft sich Hilfe und gute Ratschläge.

„Was Jim und ich jetzt bräuchten, das wäre Trauer – wir müssten ganz offen trauern -, aber es ist, wie wenn man in einen Spiegel schaut. Statt Trost finden wir im Anderen nur das Spiegelbild unseres eigenen Schmerzes.“

Jeff sendet seinem toten Bruder SMS ins Jenseits, denn das Handy hat er damals mit in den Sarg gelegt. Zu ihrem erstgeborenen Sohn haben die Eltern kaum noch eine Verbindung. Der Sohn ist sozusagen offline. Die einzige Aufmerksamkeit, die ihm widerfährt, ist, dass die Mutter ihn ständig kontrolliert und neuerdings seine persönliche Post öffnet. Weshalb bekommt er einen Check von 750 Pfund zugestellt?

Bei einem Gesprächsversuch von Vater Jim, kann Jeff nicht glauben was er hört. Die Eltern scheinen kein Vertrauen in ihn zu haben und am liebsten würde er auf der Stelle ausziehen. Er fühlt sich in seiner Privatsphäre verletzt und dass er nicht schon längst ausgezogen ist, hängt nur damit zusammen, dass er verhindern will, dass sich seine Eltern  gegenseitig zerfleischen und trennen. „Jeder Streit über eine Einzelfrage wird zur Generalabrechnung.“

Dann ist Jeff plötzlich doch weg, sogar ohne sein Handy mitzunehmen und ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Die Mutter versucht alles, ihren Sohn zu finden: sie malt Suchaufrufe an Autobahnbrücken, läuft mit einer umgehängten Tafel durch die Innenstadt, verteilt Flyers und im Internet stellt sie eine Belohnung von 100’000.– Pfund in Aussicht, für Hinweise, die zu Jeffs Aufenthaltsort führen! Jim hingegen lässt sich vom IT-Experten in der Kanzlei in die Welt des Cyberspace einführen, um seinen Sohn in dessen virtuellen Welt von „Life of Lore“ zu finden.

Level um Level kämpft er sich hoch, in einem Spiel, das anscheinend auch in der US-Army zu Ausbildungszwecken eingesetzt wird. Immer mehr Zeit verbringt er im Internet und vernachlässigt seine Arbeit in der Kanzlei, mit fatalen Auswirkungen auf seine Fälle.

Das Ehepaar Delpe spricht nur noch das nötigste miteinander, getrennte Schlafzimmer tun ein Übriges und am Wochenende fährt Jim mit dem Hund, den er angeschafft hat, aufs Land, wo er ein Cottage umbauen lässt, um mit der Familie hier einen Neuanfang zu wagen. Tapetenwechsel würde allen gut tun.

Die Erfahrungen, die Jim mit dem Computer-Spiel im Internet sammelt, lässt ihn in eine neue Welt vorstossen, die ihn vorher nicht im Geringsten interessiert hat. Inzwischen verbringt er mehr Zeit als Avatar „AGI“, als in der Realität. Sein Sohn ist in „Life of Lore“ längst auf dem höchsten Level angelangt und coacht newbies (Neulinge). Als er Jeff endlich aufspürt und diesen gegen ein Entgelt anheuert, um ihn begleiten zu können, versucht er ihn über dessen Leben auszufragen und muss sich anhören, dass Jeff, alias Merchant of Menace, ihn für einen Wichser hält, weil er feige sei.

„Dass ein Sohn so über seinen Vater denkt! Ein Vater sollte so etwas nicht wissen. Ist das der wahre, der verborgene Grund, warum Jeff so plötzlich ausgezogen ist? Wird er das je vergessen können? Nein. Nie. Dieser eine Satz hat entsetzlichen Schaden angerichtet.“

Er macht noch andere Entdeckungen, die ihm nicht gefallen und die ihn völlig verunsichern. Zudem lässt er sich auf eine virtuelle Sexaffäre ein, was er nie für möglich gehalten hätte und diese bringt ihn in arge Bedrängnis. Jim will seinen Sohn aus den Klauen eines nicht greifbaren Tieres retten und dann muss er schauen, wie er selbst aus dem Schlamassel wieder rauskommt. Ob er das schafft? Renata ihrerseits bewahrt etwas in ihrem Innersten auf, das sie beinahe auffrisst, sie in den Abgrund zu ziehen versucht. Findet die Familie Delpe einen Ausweg? Das soll jeder selber herausfinden und sich dem neuen Leseabenteuer hingeben.

Anthony McCarten hat mit seinem neuen Roman einmal mehr den Nerv der Zeit getroffen. Zuerst war ich nicht gerade angetan, mich in einem Buch mit einem Internet-Game herumschlagen zu müssen und ich dachte, ich könnte die entsprechenden Stellen einfach auslassen. Das funktioniert aber überhaupt nicht. Da musste ich genauso durch wie Jim Delpe. Eindringlich wird aufgezeigt, wie man sich in PC-Spielen immer mehr verstricken und kaum noch reale und virtuelle Welt unterscheiden kann. Man verliert sich in einer Scheinwelt. Das Internet hilft ablenken, man kann chatten und Rat suchen, aber es kann keine Liebe und Geborgenheit geben und nicht umarmen. Probleme lösen sich ebenfalls nicht in Luft auf, im Gegenteil, es können noch neue hinzukommen. Man kann sich von der realen Welt abschotten, aber schlussendlich sind es die Menschen, aus Fleisch und Blut, die wir tatsächlich brauchen.

Meines Erachtens wird dem virtuellen Teil des Romans viel zu viel Platz eingeräumt. Oft habe ich mir den Part, der die reale Welt der Delpes betrifft, so schnell wie möglich wieder herbeigewünscht, denn wie schon zuvor im Roman „Hand aufs Herz“ hat mich Anthony McCarten vorwärts gepusht, weil er mit seiner Erzählweise, praktisch von Anfang an, eine Spannung erzeugt, der ich mich nicht entziehen konnte. Ich musste einfach wissen, ob es eine Rettung für diese Familie gibt, deren Mitglieder in einer Sackgasse gelandet sind und verzweifelt das Licht am Ende eines langen, dunklen Tunnels ersehnen.

Hand aufs Herz

Eine Autofirma in London ruft zu einem Wettbewerb auf. Wer am längsten eine Hand an einen neuen Land Rover Discovery, kurz Disco genannt, hält, der hat gewonnen und kann das Auto sein Eigen nennen. Das ist ja super einfach. Denkste!

Denn jeder Teilnehmer glaubt, dass er den längsten Atem hat, somit kann das Tage dauern! Es strömen die unterschiedlichsten Menschen auf das Firmengelände „Back-to-Back“ im Stadtteil Olympia und am Anfang sind weit über hundert Teilnehmer versammelt. Das ist eine unmögliche Angelegenheit, also soll das Los entscheiden und schliesslich können sich vierzig Personen glücklich schätzen, dass ihre Nummer gezogen wird.

Am Anfang müssen zwei Autos, ein Subaru und der dunkelblaue Discovery bereitgestellt werden, sonst zerdrücken sich die Menschen förmlich. Jeder ist guter Stimmung, prahlt, dass er der geborene Sieger sei. Manch einer hat sich bestens vorbereitet und einen Haufen Proviant mitgenommen oder wird von Angehörigen unterstützt.

Die Regeln sind folgende:

  1. Die Ruhepausen werden mit einer Trillerpfeife bekannt gegeben.
  2. Essen darf man jederzeit, vorausgesetzt die Hand bleibt am Auto.
  3. Eine Hand muss das Auto ständig berühren.
  4. Anlehnen oder sich aufstützen und sich setzen ist nicht gestattet.
  5. Der Sieger muss sich einem Bluttest unterziehen, um den Beweis zu erbringen, dass keine Drogen oder Dopingmittel genommen wurden.

Alle zwei Stunden gibt es eine Pause von fünf Minuten, während der man die kostenlose Toilette benutzen kann. Es sind extra drei Dixie-Toiletten von einer Firma gesponsert worden.

So, da steht nun ein Haufen Leute um die zwei Wagen herum und jeder hat seine Gründe, warum er hier ist, weshalb er das Auto haben will. Jeder hat seine ganz eigene, persönliche Geschichte, die irgendwann an die Oberfläche gespült wird.

Da ist zum Beispiel Jess Podorowski, die Politesse, die den lieben langen Tag Strafzettel verteilt und sich so manche Unflätigkeit und Beschimpfung gefallen lassen muss. Zu Hause sitzt ihre Tochter Nat im Rollstuhl. Jess könnte, wenn sie das Auto gewinnen würde, den Rollstuhl einfacher verstauen, um ihre Tochter zur Schule zu fahren.

Dann haben wir Tom Shrift, der hatte eine Firma für Glückwunschkarten, seine Firma ging bachab, weil ein Geschäft mit den Russen nicht geklappt hat, sagt er. Jetzt ist er arbeitslos, hat unbezahlte Rechnungen und würde, wenn er das Auto gewinnen würde, den Wagen gleich wieder verkaufen, er braucht das Geld dringend.

Da gibt es Matt Brocklebank, aus guter Familie, Student. Das Leben ist für ihn einfach, nun möchte er mal erleben, wie es ist, wenn man sich auf ein Abenteuer einlässt. Betsy, die hübsche Frau, die Pech mit den Männern hat, weil sie zu hübsch ist. Vielleicht fällt ihr ja hier „Mr. Right“ in den Schoss?

Walter längst pensioniert, hatte Kinderlähmung, was man an seinem Bein ansieht, zu hoher Blutdruck, muss dagegen Tabletten nehmen. Besser gesagt müsste, denn die setzt er ab, weil Statine im Medikament enthalten sind und wenn er der glückliche Gewinner wäre, könnte er das Auto verlieren (siehe Pkt. 5). Tayshawn, der schwarze, viel zu dicke Junge, der einfach von der Gang loskommen möchte und da käme ihm das Auto gerade recht. Hausfrauen, Transvestiten, ein ehemaliger Autodieb, ein Asylbewerber aus Zaïre, der Schlaflose und ein Soldat. Eine kunterbunte Mannschaft und alle wollen den Disco.

„Alle diese und noch viele weitere tauschten ihre Geschichten über die zwei Autos hinweg aus, und jeder von ihnen hatte seinen ganz persönlichen Vorteil, aber auch seine verborgenen Schwächen, die ihnen entweder zum Sieg verhelfen oder diesen Sieg gerade verhindern würden.“

Irgendwann sind die ersten zwei Stunden um, der erste Toilettengang ist angesagt, Schlangen bilden sich vor dem WC und fünf Minuten sind ziemlich schnell um. Dann passiert auch den ersten Teilnehmern das Missgeschick, dass die Hand am Auto abrutscht oder sonst ein Malheur. Matt kommt die Idee, man könnte zur Abwechslung zu „Burger King“ um die Ecke spurten, um Verpflegung zu organisieren. Der Student ist durchtrainiert und rast in der nächsten Pause los. Die Anderen gucken gespannt auf die Uhr. Schafft er es in dieser kurzen Zeit?

Tom und Jess unterhalten sich darüber, wer der härteste Gegner sein könnte.

 „Nein, mein Hauptgegner wird ein Mann sein, ein älterer Mann. Studien beweisen, dass Frauen zwar zäher sind als Männer, aber es fehlt ihnen die Hartnäckigkeit, mit der Männer sich ganz auf ein Ziel konzentrieren, und ein älterer Mann ist bei dieser Art von Härtetest ausdauernder als ein jüngerer.“

Jeder macht sich so seine eigenen Gedanken, beobachtet den anderen heimlich. Sympathien oder Abneigung werden entwickelt. Das Radio fängt an über den Wettbewerb zu berichten, die ersten Journalisten tauchen auf.

„Achtundzwanzig Menschen; das war alles. Hände auf Metall. Zwei Autos, ihre Verbindung zum Leben. Schon eine ganze Weile war niemand mehr ausgeschieden, und inzwischen war allen klar, dass die gesamte Teilnehmerschaft nur noch aus Sturköpfen bestand, von denen jeder bereit war, mit allem zu kämpfen, was er hatte.“

Eine Nacht vergeht, dann ein Tag. Noch eine Nacht, noch ein Tag. Die Muskeln fangen an zu schmerzen, die Lider sind schwer, Halluzinationen, das Gedächtnis hat Aussetzer, die Lippen sind trocken, der befürchtete Mikroschlaf stellt sich ein. Dieser Irrsinn hat die Zähen in den Klauen. Andere geben auf, haben die Schnauze voll und dann – dass Unfassbare – es gibt einen Toten. Der Autofirma-Besitzer „Hatch“ hat auch seine Probleme. Eigentlich ist er pleite, die Ehe ist am Nullpunkt, die beiden Mitarbeiter haben ebenfalls genug, denn sie haben ihren letzten Lohn nicht erhalten und wollen gehen. Irgendwie geht es aber doch weiter.

Zusätzlich geht es auch um einen Weltrekord und somit um einen Eintrag ins „Guinnessbuch der Rekorde“, der „Guinness-Man“ muss auch beigezogen werden:

„Er hatte mit angesehen, wie Leute tauchten, auswendig lernten, hoben, hungerten, überwanden, aushielten, aufbauten, buken, zerrten, froren, sich verrenkten, schluckten, hielten, balancierten, wie sie strebten, siegten, sich zerstörten, ihren Körper so behandelten, als würden sie morgen einen neuen bekommen, nur um die Nase ein Stückchen höher zu tragen, als alle anderen.“

Es gibt Bücher wie dieses von Anthony McCarten, bei denen stimmt von Anfang an einfach alles. Der Plot ist hervorragend, die Spannung steigt von Seite zu Seite. Mein Partner meinte, dass es zu viele Figuren im Roman hätte. Aber bei einem Wettbewerb ist das so üblich. Zudem ist dies nur zu Beginn so. Es lohnt sich dran zu bleiben. Der Leser muss mit den Figuren warm werden, sie kennenlernen. Der Roman ist eine fantastische Gesellschaftsstudie. Er zeigt das Leben, wie es für viele ist, mit all seinen Höhen und Tiefen, mit Liebe und Hass. Wahrnehmungen werden den einen ins Gesicht geschleudert, die die Seele verletzen. Im Laufe der Tage verändert sich jeder Einzelne der Teilnehmer. Die Dialoge sind grossartig und das Ende? Fast wie im Krimi, was da für ein Geheimnis zu Tage befördert wird – zufällig – einfach der Hammer. Unglaublich, aber wahr, eben so wie im richtigen Leben.

Ich bin begeistert und habe das Buch verschlungen und sage nur eins: Lesen!