Bücherhimmel – Bücherhölle

„Lesen und Sammeln, zwischen Lust und Wahn“

„Bücher sind leidenschaftliche Verführer. Eine packende Lektüre, eine reich bestellte Bibliothek, exquisite Editionen lassen das Herz des Bibliophilen höher schlagen.

Im Lesen und Büchersammeln steckt aber auch der Keim zur regellosen Sucht. Für die eigene Bücherliebhaberei hat der Pariser Arzt Guy Patin 1654 den Begriff der „Bibliomanie“ geprägt, frei nach einer berühmten Sentenz des Erasmus von Rotterdam: „Der Umgang mit Büchern führt zum Wahnsinn“.

Dies sind die einleitenden Worte zur Ausstellung im Museum Strauhof, die ich noch kurz vor Ihrem Ende (die Ausstellung dauert nur noch bis 25.11.2012) besucht habe.

Für jeden der gerne liest, sind Bücher eine schöne Sache. Die einen lesen ein Buch und geben es wieder weg. Die anderen können sich nicht von ihren Lieblingen trennen und stellen sie ins Regal, um sie immer wieder zu betrachten, sie in die Hand zu nehmen und nachzuschlagen – vielleicht sogar, um sie wieder einmal zu lesen. Dann gibt es die Sammler, die hinter Erstausgaben herjagen, bibliophile Schätze suchen oder alles und jeden Schnipsel zu einem speziellen Genre oder einem Thema sammeln und bewahren. Wo es auch nicht mehr um die Lektüre geht, sondern nur noch um das Buch. Das Buch kann auch zum Kunstobjek werden. Es kann verrissen und zerrissen werden oder wird zur verbotenen oder unerwünschten Lektüre. Um all diese Themen und noch viel mehr, kreist die Ausstellung „Bücherhimmel – Bücherhölle“.

Ich trete in den ersten Raum, wo in diversen Filmen Kinder aus ihrem Lieblingsbuch vorlesen und über den Inhalt erzählen. Die Kinder müssen von Klein auf an die Lektüre herangeführt werden. Zuerst sind es die Bilderbücher, wo auch die Finger über die Bilder streichen und das Neue fasziniert. Später kommt das tolle Gefühl hinzu, wenn man die ersten Worte selber lesen kann und dann der Moment, wo man sich von der Umwelt verabschiedet und stundenlang zwischen den Buchdeckeln eintaucht.

Ein Diaprojektor projiziert Bilder von lesenden Menschen aus Fotografie und Malerei an die Wand.

Im ersten Stock trete ich in eine Ecke und ich wähne mich in einem Wohnzimmer der 1950er-Jahre. Über die Mattscheibe des Fernsehers im Holzgehäuse flimmert die Episode „Time enough at last“ der amerikanischen Serie „Twilight Zone“ von 1959.

Ich setze mich in den Sessel und schaue mir den Film an, wo ich dem Bankkassier Henry Bemis begegne, der selbst unter der Schaltertheke einen Blick in sein Charles Dickens-Buch wirft und dadurch einen falschen Betrag auszahlt. Er versucht überall in der Bank zu lesen, weil er zu Hause nie dazu kommt. Seine Frau nimmt ihm selbst die Zeitung weg – sie kann seine Freude am Lesen in keinster Weise nachvollziehen. Eines Tages, er liest gerade im Banktresor, wird die Welt durch eine Atombombe zerstört und unser Bankkassier ist der einzige Überlebende und findet in den Trümmern der öffentlichen Bibliothek haufenweise Bücher. Nun ist er im Bücherhimmel – die gesammelten Werke von Dickens, Shakespeare, Shelley usw. versorgen ihn über Jahre hinweg mit Lesestoff. Was für ein Glück – endlich hat er Zeit, Zeit und nochmals Zeit und keiner nimmt ihm die Bücher weg. Doch was dann passiert, schaut ihr euch am besten auf YouTube selber an. Bücherhimmel und -hölle liegen da sehr nahe beieinander.

Teil 1

Teil 2

Das Ende

Ich trete in den nächsten Raum und lande in einem Archiv. Neben Zeitungsausschnitten, diversen Lesezeichen, steht da auch ein Zettelkasten, in dem alphabetisch Karteikarten eingereiht sind, die alles beinhalten, was mit Buch oder Literatur zu tun hat. Schon nur um all die Karteikarten zu lesen, müsste ich mich stundenlang hier aufhalten, so spannend sind die Kärtchen.

In Schaukästen neben dem Buch der Bücher – der Bibel – sind auch die Thora auf Pergament aus dem Jahre 1491, der Koran oder Dante Alighieris „Die Göttliche Komödie“ ausgestellt. Werke von Herrschern liegen in einer anderen Vitrine daneben, so die „Mao-Bibel“  von Mao Tse-tungs oder „Mein Kampf“ von Adolf Hitler – Bücher der verschiedenen Religionen, auch die der Herrscher über eine Gesellschaft.

In einer weiteren Vitrine sehe ich das kleinste Buch der Welt, das 2,9 x 2,4 mm misst und in Leder gebunden ist, Asterix in Blindenschrift, das E-book und das Pop-up Buch.

„Die göttliche Komödie“ von Dante Alighieri, Ausgabe von 1491

Das Buch kann zum Objekt und vom Literaturkritiker verrissen werden und wie in der Zeitschrift „Der Spiegel“ durch Marcel Reich-Ranicki auch zerrissen, als er über Günter Grass‘ Roman „Ein weites Feld“ hart ins Gericht ging. Allerdings handelt es sich hier um eine Fotomontage.

Bücher können verbrannt werden, was wohl das Schreckliste für den Bücherliebhaber überhaupt ist oder auf einen Index für verbotene Bücher kommen oder auf eine Warnliste, wie in Amerika.

Ausschnitt aus der Warnliste „Parents against bad books in school
„Besorgte eltern kämpfen in den USA seit Jahren aktiv gegen ihrer Meinung nach schädliche, unmoralische Bücher in den Schulbibliotheken sowie im Schulunterricht. Ihre Warnlisten führen vor allem in den Provinzen immer wieder zu privaten Säuberungsaktionen.“ Text aus der Ausstellung

Als ich in die Bücherhölle trete, stehe ich in einem dunklen Raum, die Regale sind mit Einkaufstüten, Schachteln und überquellendem Papier und Büchern vollgestopft. Die Bücherliebe gerät aus den Fugen und wird zum Wahn.

Ich begegne Bücherfressenden Monstern in Kinderbüchern und nicht nur in diesem Raum, sondern auf dem ganzen Stockwerk ist das Heulen eines indianischen Schamanen aus dem Film „The black robe“ zu hören, in der die Szene des Jesuitenpaters gezeigt wird, der in seinem Buch liest. Dies ist dem Schamanen fremd und deshalb heult er wie ein Wolf und  verflucht den Pater:“Dämonen fürchten sich vor Lauten. Du bist ein Dämon!“

Schliesslich trete ich noch in den Raum ein, in dem ich in Filmen verschiedenen Sammlern begegne wie in einem Video ohne Worte, einem alten Antiquar aus Bern. Liebevoll reiht er seine Schätze in die Regale ein, nachdem er sie sorgfältig katalogisiert hat. Ein Lächeln zieht über mein Gesicht, als ich ihm zusehe, wie er diese alten und auch weniger alten Bücher behutsam in die Hände nimmt, als wären sie filigran und zerbrechlich.

Eine alte Dame sammelt ein besonderes Genre der Literatur, nämlich all jene Romane des Herz-Schmerzes, die immer ein Happy End haben, wie Arztromane oder all die Bücher von Hedwig Courts-Mahler und viele mehr.

Alberto Manguel wird in einem Film porträtiert, in dem er über seine Liebe zu den Büchern erzählt: “ In meiner Bibliothek fühle ich mich am meisten zu Hause. Die Küche gehört auch dazu, da fühle ich mich auch heimisch, denn ich koche auch gerne. In der Bibliothek fühle ich mich am besten aufgehoben, wie unter Freunden.“ Seine Bibliothek von 35’000 Büchern hat der Autor nicht katalogisiert. Er hat sie alle im Kopf. Sie sind nach der Sprache, in der sie geschrieben sind, eingereiht, und er weiss ganz genau, wo er was findet.

Und zu guter Letzt kann ich einen Selbsttest machen, welcher Typ Leser ich bin, in dem ich von einer Gruppe vorgeschlagener Bücher immer eines auswählen soll. Ich klicke also jene Titel an, die ich am ehesten lesen würde. So stand bei mir schlussendlich Folgendes:

„Sie sind eine prosaische Denkerin, die häufig liest, um sich mit andern auszutauschen.“

Was für ein schöner Abschluss für mich in dieser faszinierenden Ausstellung!