Sie dreht sich um

Sie dreht sich um

Anna, Anfang Fünfzig erfährt soeben von ihrem Mann Georg, dass dieser ein Verhältnis mit einer jungen Referendarin hat und „Sie wünscht ein Kind von mir“ in den Raum stellt. Das ist für Anna ein dicker Brocken und fluchtartig packt sie ihre Taschen und bucht den ersten Flug, der sie fortträgt von diesen Worten. So landet die Journalistin in Edinburgh, in einer Stadt, in der sie noch nie war. Schon immer eine grosse Kunstliebhaberin besucht sie die National Gallery und ist lange in die Betrachtung der Bilder vertieft. Ein Bild von Gaugin hat es ihr besonders angetan, denn eine der gemalten Bretoninnen, scheint sich zu ihr umzudrehen und zu ihr zu sprechen. So kehrt sie immer wieder zu diesem Bild zurück, wenn sie sich nicht in ihrem Zimmer vergräbt und in gekauften Kunstführern liest.

Offiziell hat Anna sich in den Himalaya für eine Recherchereise begeben und ist für keinen erreichbar, nicht einmal für ihre erwachsenen Kinder.

„Bilder verändern sich nicht. Bilder sind so da, wie sie gemalt worden sind. Dann werden sie angesehen von vielen Menschen. Sie verstauben. Werden geputzt. Umgehängt. Sie sind begehrt und gehen auf Reisen zu anderen Museen. Wo sie auch sind, wer vor ihnen steht, sie sind dieselben über ein Jahr, ein Jahrhundert, ein Jahrtausend. Gut, sie altern, sie dunkeln nach. Doch ist das, was auf ihnen zu sehen ist, lange auf ihnen zu sehen. Auch Bilder, die eine Geschichte erzählen, sind stumm.“

So begibt sich Anna, wie die Bilder, auf Reisen. Sie bleibt nicht in Edinburgh, sondern folgt dem Bretonischen Mädchen, dessen Erschaffer eine dänische Frau hatte, nach Kopenhagen, wo sie erneut in die Kunstwelt eintaucht. Meist ergreift sie die Flucht, wenn andere Touristen ihr den Blick auf ein Bild versperren. Mit anderen Menschen spricht sie kaum, ausser hier in Kopenhagen, wo sie einen Mann kennenlernt und eine Nacht mit ihm verbringt. Obwohl sie der Mann bittet, ihn nach Basel zu begleiten,  packt sie kurz entschlossen erneut ihre Koffer und fliegt nach Boston.

„Er konnte es ja nicht verstehen. Es ging nicht um mehr als genug Bilder, es ging immer nur um das eine Bild. Es ging um einen Wink fürs Weiterkommen. Eine Grundregel des Spiels war, das zumindest glaubte sie mittlerweile verstanden zu haben, auf die Notwendigkeit des Zufalls zu achten.“

So führt sie ihre Reise immer weiter, wo sie vor Bildern innehält, auf denen Menschen mit dem Rücken zum Betrachter abgebildet sind und sich irgendwann zu ihr drehen und ihr ihre eigene Geschichte erzählen – wie das Bild entstanden ist oder etwas über den Maler, der sie erschaffen hat. Das ganze klingt wie ein Spiel, doch die Reise zwingt sie, sich mit ihrem eigenen Leben auseinanderzusetzen, zu reflektieren, was mit ihrer Ehe passiert ist, was sie mit ihrem Mann Georg noch verband oder von ihm trennte. Sie fühlte sich ihm immer unterlegen. Georg, der Altphilologe ist sprachgewandt und selbstsicher, sie hingegen glaubte schon zu Studienzeiten für gewisse Leute nicht intelligent genug zu sein, um sich mit ihnen in ein Gespräch einzulassen.

Nach Amerika kehrt sie nach Europa zurück. Über Zürich führt sie der Weg nach        St. Moritz, wo sie das Segantini-Museum aufsucht. Durch eine Französin führt ihr Weg nach Paris und schliesslich nochmals nach Dänemark, wo ihre Reise in Skagen enden wird, nicht nur weil auf der äussersten Landzunge, wo Kattegat und Skagerak ein Weiterkommen verhindern, sondern weil es nach vier Wochen Zeit wird, sich zu entscheiden.

Angelika Overath wurde 1957 in Karlsruhe geboren. Sie arbeitet als Reporterin, Literaturkritikerin und Dozentin und lebt heute in Sent, im Kanton Graubünden. „Sie dreht sich um“ ist ihr dritter Roman.

Der Roman lässt mich ein wenig zwiespältig und ratlos zurück. Ist es die Geschichte von Anna, einer enttäuschten Ehefrau, die über ihr Leben und wie es scheint, über die missglückte Ehe mit Georg sinniert oder ist es ein Buch, das mir Kunst näherbringen soll? Die Protagonistin Anna steht vor sehr bekannten Gemälden von Gaugin, Segantini, Edward Hopper oder Anna Ancher, um nur einige der Maler zu nennen. Und der Kunstinteressierte errät ziemlich leicht, um welches Bild es sich handelt oder handeln könnte, so detailliert beschreibt die Angelika Overath die Gemälde. So hat es mir grossen Spass gemacht, den einen oder anderen Kunstband aus dem Regal zu ziehen und die Bilder zu suchen, von denen im Roman die Rede ist. Auch sass ich öfters vor dem Computer und suchte das eine oder andere Gemälde im Internet. So habe ich mich wieder einmal intensiv mit Kunst befasst, was immer wieder ein Vergnügen ist.

Kunst

Auch die Gegenden, in denen sich Anna aufhält, werden bis ins kleinste Detail präzise beschrieben und zeugt von einem guten Auge der Autorin. Hier ein Beispiel zu Skagen:

„Die niedrigen, in einem hellen, fast gelben Ocker getünchten Häuser hatten tiefe, rote Ziegeldächer, die an den Seiten mit weiss gemalten Schlusssteinen abgesetzt waren. Auch viele Giebellinien waren weiss. Jedes Haus hatte seine Grundstücksbegrenzung durch Reihen weisser Holzlatten. Ab und an flatterten an hohen Stangen Wimpel, winzige dänische Fahnen wie Korrekturzeichen.“

Skagen

Skagen (Nordjütland)

Über Anna und ihr Leben hätte ich gerne mehr erfahren, doch dieser Teil kommt meines Erachtens etwas zu kurz. So bleibt die Figur für mich etwas blass und  hinterlässt den Eindruck, dass sie sich oft minderwertig fühlt und gehemmt ist, was mir etwas unwahrscheinlich für eine Journalistin dünkt. Doch das ist meine ganz persönliche Meinung. Es muss sich jeder sein eigenes Bild von diesem Roman machen.

Angelika Overath „Sie dreht sich um“
Verlag Luchterhand
279 Seiten
ISBN 978-3-630-87349-7

Die Saison ist eröffnet

Der Sommer hat hier kaum statt gefunden. Eigentlich ist es bereits Herbst und somit beginnt die Saison der Literatur-Neuerscheinungen und dazu die vielen Lesungen. Um gleich mal mit einer Lesung anzufangen, habe ich eine Information vom Luchterhand Verlag erhalten. Angelika Overath hat einen neuen Roman geschrieben „Sie dreht sich um“ und die Autorin liest daraus Ende August in Basel.

Freuen wir uns also auf viele neue Bücher und tolle Lesungen:

Sie dreht sich um

„Eine Frau Anfang 50, Journalistin, erfährt plötzlich von ihrem Mann, dass er eine jüngere Geliebte hat, die ein Kind von ihm will. Schockiert flüchtet sie aus dem komfortablen Münchner Heim und begibt sich scheinbar planlos auf eine Reise, die sie nach Edinburgh, Kopenhagen, Boston, St. Moritz, Paris und Skagen und dort in die Gemäldegalerien führt. Fasziniert betrachtet sie Bilder von Paul Gauguin, Vilhelm Hammershøi, Edward Hopper, Giovanni Segantini, Ingres, Jacobus Vrel und Anna Ancher, deren Frauenfiguren plötzlich zu ihr zu sprechen scheinen und ihre Geschichten erzählen. Und sie lässt auf ihrer Reise die eigene Ehe Revue passieren und wird reif für einen Neubeginn in ihrem Leben.“

Angelika Overath wurde 1957 in Karlsruhe geboren. Sie arbeitet als Reporterin, Literaturkritikerin und Dozentin und hat die Romane „Nahe Tage“ und „Flughafenfische“ geschrieben. Letzterer wurde u.a. für den Deutschen und Schweizer Buchpreis nominiert. „Alle Farben des Schnees. Senter Tagebuch“ wurde ein großer Publikums- und Kritikererfolg. Zuletzt erschienen bei Luchterhand von ihr die Essays „Fließendes Land“ und (zusammen mit ihrem Mann Manfred Koch und ihrer Tochter Silvia Overath herausgegeben) das literarische Kochbuch „Tafelrunde“. Für ihre literarischen Reportagen wurde sie mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnet. Angelika Overath lebt in Sent / Graubünden.

„Eine der eigenständigsten Stimmen der deutschsprachigen Literatur“ Jochen Schimmang / taz

Donnerstag, 28. August, 19 Uhr, Literaturhaus Basel, Barfüssergasse 3

Moderation: Iso Camartin. Eintritt CHF 17,- / erm. 12,-  Weitere Ticketinformationen sind hier zu finden

Anschließend bitten das Literaturhaus und der Luchterhand Literaturverlag zum Apéro.

Weitere Lesungen in der Schweiz:
Sent (30.8.), Chur (8.9.) und Sursee (10.9.)