Es ist der 11. November, Fasnachtsauftakt – es regnet in Strömen. Gerade das richtige Wetter, um sich mit einem Buch zurückzuziehen, vielleicht mit dem neuen Roman „In einer Person“ von John Irving. Gestern trat er im Kino auf, im Zusammenhang mit dem Dokumentarfilm „John Irving und wie er die Welt sieht“, heute Morgen las er im Schauspielhaus Zürich und unterhielt sich mit der Moderatorin Monika Schärer. Der Saal war fast voll, unter den Zuschauern befand sich auch die Ehefrau des Autors.
Monika Schärer sprach einige Worte zum Roman, hat auch Zürich nach über 700 Seiten als Schauplatz gefunden und zwar das Schauspielhaus. Was wäre da passender als in diesem Haus einen Anlass mit von John Irving abzuhalten? Die Moderatorin wies gleich noch darauf hin, dass im Foyer Bücher des Schriftstellers gekauft werden könnten, Irving jedoch keines signieren werde, weil seine Zeit als Ringer seine Spuren hinterlassen habe. Und schlussendlich ist es doch besser, Irving schreibe weitere Romane, als tausend Bücher mit seiner Unterschrift zu versehen.
Er erzählte, dass er im Jahre 2001 die ersten Notizen zu diesem Roman gemacht habe. Der Roman über einen bisexuellen Mann namens William beginnt Ende der 1950er-Jahre und reicht bis in die 1980er-Jahre, als Aids ein Thema wurde. Irving wollte ein Buch schreiben, das von einer Minderheit unter den Minderheiten handelt. Im Gegensatz zum Leser, der weiss, dass diese furchtbare Krankheit Aids ausbrechen wird, ahnt der Protagonist in den damaligen Jahren noch nichts davon.
Der Autor erzählt am Anfang, des Interviews, dass es ein reiner Zufall ist, dass der Roman erschienen sei, kurz nach seinem 70. Geburtstag und zum 60. Jahrestag des Diogenes Verlages. Er erzählt, dass auch seine Mutter im Theater Souffleuse war, hingegen flüsterte sie die fehlenden Worte den Schauspielern nicht zu, sondern brüllte sie ihnen quasi entgegen. Es bereitete ihr Vergnügen, die Akteure zu erschrecken.
John Irving las aus seinem Roman aus drei Kapiteln vor und wechselte sich ab mit dem Schauspieler Markus Scheumann, der jeweils vor oder nach Irving Abschnitte der deutschen Übersetzung las. Es bereitete grosses Vergnügen, den beiden Männern zuzuhören. Markus Scheumann las im ersten Kapitel vor, wie der fünfzehnjährige William der Bibliothekarin Miss Frost erklärt, dass er Schriftsteller werden wolle und sie erwidert: „Du kannst unmöglich wissen, dass du mal Schriftsteller wirst“, schüttelte Irving leicht den Kopf und fing selber an zu grinsen. Darauf brach das Publikum in schallendes Gelächter aus. Es gab überhaupt viel Amüsantes, während der Lesung und dem Gespräch.
Beim weiteren Gespräch, wurden auch die Politik und die eben erst erfolgten Wahlen in den USA angesprochen. Irving ist schon einmal froh, dass Obama wieder gewählt wurde. Er meinte, dass dieser von 55% der Frauen, von allen Schwarzen und den lateinamerikanisch stämmigen US-Bürgern gewählt worden sei. Mitt Romney sei nur von einer Schicht gewählt worden, nämlich von weissen Männern, die 65 und älter seien. Dass die Wahlen auch ein Republikaner hätte gewinnen können räumt er indessen ein, wäre dieser nur etwas liberaler gewesen.
1963 kam er als Student nach Europa, 1969 und 1970, inzwischen war sein mittlerer Sohn geboren, lebte er nochmals hier. Damals, sagt er, war Europa wirtschaftlich und politisch weiter und was die Sexualität betraf viel freier als die USA. Als Reagan Präsident war, habe es sowieso eine Mauer zwischen den beiden Kontinenten gegeben, heute sei kein grosser Unterschied mehr festzustellen.
Angesprochen auf die 1980er-Jahre betreffend Aids, zu der Zeit lebte Irving in New York und bewegte sich vor allem in Künstlerkreisen, meinte er, dass man immer erst erfahren habe, dass ein Freund homosexuell war, als er schon krank oder gar gestorben war. Er hätte sich gewünscht, dass Freunde ihn in ihr Vertrauen mit einbezogen hätten, aber dies war damals noch nicht der Fall.
Auf die Frage, ob ein unerfahrener Junge beim ersten Mal eine ältere Person als Sexpartner haben sollte, erwiderte Irving: „Im Alter von 12, 13 Jahren finden wir die Freundin der Schwester anziehend, vielleicht auch eine ältere Frau, einen Mann, und doch wird es wahrscheinlich nie zu einem sexuellen Akt kommen. Wir können ja nicht mit allen Sex haben, nur weil wir irgendeine Phantasie haben, das gäbe ein absolutes Chaos in unserem Leben.“
Längst übersetzte die Moderatorin kaum noch etwas ins Deutsche, bei einigen Themen schien ihr dies vielleicht auch peinlich, so kam es mir vor. Man war also gut bedient, wenn man Englisch verstand.
Über seine Figuren sagt Iriving, dass vielen von ihnen, auch wenn er Sympathie für sie empfinde, im Verlaufe des Buches etwas Schlimmes passieren werde. Doch der Leser weiss nicht wann und wem etwas zustossen werde. Er denke dabei immer an seine Familie, dass dies nicht passieren dürfe oder jenes nicht. Mit seinen Figuren hingegen gehe er nicht zimperlich um.
Bereits arbeitet Irving an einem neuen Roman, der den englischen Titel „Avenue of Mistery“ trägt, geht es um einen mexikanisch-amerikanischen Mann, der seine Jugendzeit in Mexiko verbracht hat und als Erwachsener in den USA gelebt hat. Nun ist er in Pension und lernt einen Mann kennen, dessen Vater als US-Soldat gefallen ist und auf dem Soldatenfriedhof in Manila begraben ist. Der Pensionär entschliesst sich, dieses Grab in Manila aufzusuchen. Er denkt, er tue das für seinen Freund, doch der Grund ist in Tat und Wahrheit ein anderer. Der Leser möchte dem Protagonisten am liebsten zurufen „oh nein, flieg nicht dorthin, kehr gleich wieder um“. Die Avenue of Mistery oder Avenida de los misterios gibt es in Mexiko City, auf der die Pilger zur Schwarzen Madonna pilgern. Mehr wird nicht verraten.
So warten wir also auf den 14. John Irving-Roman, den er hoffentlich wieder in einer Lesung in Zürich präsentieren wird.