Ich hab‘s geschafft. Am Montag abend konnte ich das Buch „Morgen bist du noch da“ von Mila Lippke nicht mehr aus den Händen legen. Es hat mich richtiggehend mitgerissen.
Lio, 42 Jahre alt, Künstlerin, lebt in Berlin. Vor mehr als zwanzig Jahren hat sie Köln verlassen, vor ihrem damaligen Freund ist sie davongelaufen und auch vor ihrer Mutter. Zur Mutter hatte sie immer ein zwiespältiges Verhältnis, trotzdem lädt sie sie zu ihrer Vernissage in eine Galerie nach Berlin ein. Hier geht sie auf Frontalangriff und stellt der alten Frau die Frage, wer denn nun ihr Erzeuger sei. Ihre Mutter ist dieser Frage immer ausgewichen. Auch dieses Mal erhält ihre Tochter keine Antwort. Doch für Lio ist es fundamental, endlich zu erfahren, wer sie ist, ist sie doch ungewollt schwanger von ihrem verheirateten Freund.
Ausgerechnet jetzt erleidet Lios Mutter einen Schlaganfall. Lio reist nach Köln, kehrt in die Wohnung ihrer Kindertage zurück, um ein paar Sachen für ihre Mutter einzupacken und begibt sich gleichzeitig auf die Spurensuche nach den Wurzeln ihrer Familie, vor allem die ihrer Mutter. Sie hofft Hinweise zu entdecken, wer ihr Vater sein könnte.
Was sie hier und an anderen Orten recherchiert oder sich erhofft zu finden, ist wie ein kompliziertes Puzzle, das es gilt Stück für Stück zusammenzuzusetzen. Durch das Lesen von Briefen und Dokumenten, die Lios Mutter aufgehoben hat, lernt sie diese Frau auf eine andere Art kennen und betrachtet sie aus einem völlig neuen Blickwinkel. Wie gerne würde sie mit jemandem über ihre Entdeckungen sprechen, doch ihr Leben ist zurzeit völlig aus den Fugen geraten. Wegen ihrer Schwangerschaft hat sie sich auch mit ihrer besten Freundin überworfen und es ist fraglich, ob die Freundschaft noch zu kitten ist.
Lio durchlebt eine schwierige Zeit, voller Emotionen, mit allen Farben und Schattierungen: Wut, Traurigkeit, Freude, Einsamkeit, Zweifel, die ganze Palette eines Malers breitet sich vor ihr aus.
Mila Lippke habe ich durch den Blog der Seitenspinnerinnen kennengelernt, wo sie ihr Projekt lancierte: die Idee, ihren neusten Roman während einem Jahr auf die Reise zu den Lesern zu schicken. Ich bin ihr unendlich dankbar dafür. Ich habe ihr Baby gelesen, ein Buch, dem ich in einer Buchhandlung vielleicht wenig Beachtung geschenkt hätte. Das Cover mit den beiden Blumen in den Flaschen verbreitet eher Fröhlichkeit und scheint mir so gar nicht zum Inhalt zu passen. Ist der Roman anfangs noch leicht und lässig zu lesen, wird die Geschichte, durch die eingefügten Kapitel, die sich mit dem Leben der Mutter befassen, immer ernster und tiefgründiger. Zeitweise erging es mir wie der Protagonistin, ich war manchmal sehr aufgewühlt, angespannt, traurig, aufgeregt, nachdenklich oder auch empört. Die Autorin hat über eine Mutter-Tochter Beziehung geschrieben, die so nicht alltäglich ist, ich habe mich zuerst auf eine falsche Fährte führen lassen. Durch die Lektüre begann ich mir automatisch Gedanken über das Verhältnis zu meiner eigenen Mutter zu machen, das Gott sei Dank gut ist. Ich fände es schrecklich, wenn man die Chance verpassen würde, miteinander offen und ehrlich reden zu können. Nur allzu schnell ist dieser Moment für immer vorbei.
Ich danke Mila ganz herzlich, dass ich an ihrem Projekt dabei sein durfte und mit einer Träne im Auge werde ich ihr Buch demnächst wieder auf die Reise schicken und hoffe, dass es die nächste Leserin oder der nächste Leser ebenso sehr schätzen lernt wie ich. Es hat mir bewegte Momente geschenkt.