Gedankenautobahn

Gelbe Teppiche, Raps und Löwenzahn, violetter Flieder, oranger Rhododendron – weisse Pompons, Apfel- Birn- und Kirschbäume – knorrige Bergtannen, zartgrüne Buchen – Autobahn, schmale Landstrassen, kurvenreiche Wege – Jogger, Wanderer, Fahrrad- und Motorradfahrer, Oldtimer – langgezogene Dörfer, menschenleere Dörfer, schöne und hässliche Dörfer – Hügel auf und ab, Schluchten, flaches, weites Land – einsame, abgelegene, stattliche, verwahrloste, verlassene, umgebaute Bauernhöfe – wilde, romantische, tiefe Täler – kantons- und  länderübergreifend – willkommen im Aargau, Baselbiet, Solothurn und wieder Aargau, Jura – département du Haut-Rhin, bienvenue en France – kleine Kapelle, alte Kirchen, Kloster – Restaurant Le Moulin fermé, wir haben eine grosse Terrasse – frisches und noch warmes Holzofenbrot, Salatteller, Kaffee, altes Fritieröl, Alpkäse zu verkaufen – Mosterei, Brauerei – Burgruine, Château – mäandernde Bäche, Aare, Rhein, Allaine – hässliche Industriebauten, öde Einkaufscenter, stolze Villen, langweilige 08-15 Einfamilienhäuser, Zersiedelung wie Krebsgeschwür, einsam stehende alte Häuser mit Charakter – Pferde, Wollschweine, Ziegen und Schafe, glückliche Kühe auf saftigen Wiesen, traurige Kälber in betonierten und dreckigen Laufställen – Picknick vor altem VW-Bus, Fotografen auf Motivjagd – weisse Segelflieger, rote Gleitschirmflieger und kreisende Milane –

ein Ausflug auf dem Motorrad

Fahrt in den Frühling_1

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Motorradfahrt in den Herbst

Das Wetter für eine Fahrt mit dem Motorrad ist perfekt. Es ist mitte Oktober und das Thermometer zeigt 21 Grad an. Wir sind relativ früh dran, für die Fahrt ins Berner Oberland. Ich telefoniere noch auf dem Bahnhof mit meinem Liebsten, er solle doch einmal seine Schwägerin anfragen, ob die Alphütte frei sei. Eigentlich wollten wir erst im November in die Hütte, aber das Wetter könnte nicht schöner sein und irgenwie hat mich Mila noch drauf gebracht. Im Haus ist jedoch nur die Enkelin, Grossmutter und Grossvater sind irgendwo draussen. Als wir losfahren wissen wir also noch nicht, ob wir auf die Alp können.

Die Fahrt Richtung Zentralschweiz ist herrlich und als Sozius kann ich meinen Gedanken nachhängen. Die Spitzen der Berge sind weiss überzuckert, der erste Schnee ist am Montag gefallen und hat seine Spuren hinterlassen.  Wir fahren dem Alpnacher See entlang und auf einer Wiese mache ich weisse Flecken aus, es sind aber keine Schafe oder Ziegen. Ich würde mir die Augen reiben, hätte ich nicht das Helmvisier davor, denn wie die Kühe hockt eine Menge Schwäne im Gras. So etwas habe ich noch nie gesehen.

Das Buchenlaub schimmert golden und bronzefarben in der Sonne, die sich zu dieser Jahreszeit früher auf den Weg macht, hinter dem nächsten Bergkamm zu verschwinden.

Die verfärbten Bäume spiegeln sich im Lungernsee, ein Fischerboot schaukelt im Wasser.

In den Tunnels, die wir passieren, ist es angenehm warm und wie wir wieder hinausfahren und uns Kurve um Kurve den Brünigpass hochschrauben, wird es frischer. Auf der Passhöhe machen wir noch einen Kaffeehalt und setzen uns in die Sonne. Wir telefonieren zum dritten Mal auf den Hof und jetzt ist die Nichte am Apparat und verkündet, nachdem sie ihre Mutter gefunden hatte: „Hütte frei“.

Zahlen, Aufbruch. Jetzt geht es schnell. Auf dem Motorrad gehe ich im Kopf die Liste durch, was wir daheim alles einpacken und danach noch an Lebensmittel einkaufen müssen. Unten im Tal glänzt die Aare in ihrem begradigten Bett und fliesst Richtung Brienzersee. Durch die Bäume sehe ich das Dorf Iseltwald, wo eine Kollegin ihr Elternhaus hat. Es liegt malerisch am See. Dann schaue ich zum Niederhorn hoch, wo wir schon übernachtet haben und Steinböcke beobachten konnten. Die Pyramide des Niesens schaut mich an und der Zahn des Stockhorns ragt wie ein Weisheitszahn rechts raus. Vor dem Rugen-Tunnel werfe ich einen Blick nach hinten und sehe das imposante Trio von Eiger, Mönch und Jungfrau, tief verschneit. Wenn ich die Dreiergruppe sehe muss ich immer an den Song von Florian Ast denken, der innerhalb zwei Stunden, so glaube ich, über diese drei Berge ein Liebeslied schreiben musste. Der Eiger war in die Jungfrau verliebt, doch der Mönch stand halt immer dazwischen, so kamen die zwei nie zusammen.

Zu Hause, im Oberland angekommen, Motorradkleider weg, Schlafsäcke, Klamotten und Lebensmittel, die im Haus sind, einpacken. Wie praktisch, dass wir die Wechselnummern dabei haben, für das zweite Auto, das in der Garage wartet. Nun noch im nächsten Dorf frische Lebensmittel besorgen und ab ins Simmental. Die Dämmerung setzt bereits ein. Die Kurven den Berg hoch kennt mein Liebster im Schlaf, er ist schliesslich hier aufgewachsen. Auf dem Bauernhof stürzen uns die bellenden Hunde entgegen. Noch schnell die Angehörigen begrüssen und einige Worte wechseln. Abfahrt, Geländewagen rein und den steilen Weg hoch, den einige Freunde und Verwandte, nachdem sie ihn das erste Mal gesehen haben, lieber zu Fuss hochsteigen.

Alles auspacken, es ist längst Routine, wir sind ein eingespieltes Team. Ofen einfeuern, denn es soll noch etwas Warmes zu essen geben. Der neue Holz-Herd zieht gut und schon bald sitzen wir bei Pasta à la Bolognese und Salat am Tisch. In der Höhe schmeckt es nochmal so köstlich. Die Nacht ist mild und der Himmel ein einziges Sternenmeer, an dem ich mich kaum satt sehen kann. Das Licht der Petrollampen ermüdet die Augen, so geht man eher mal mit den Hühnern ins Bett. Bald schlüpfen wir in die warmen Schlafsäcke und dämmern unseren Träumen entgegen.

AugenBlicke eines Sommerwochenendes

Freitag

Mit dem Motorrad machen wir uns auf den Weg ins Berner Oberland. Richtung Luzern zeigt das Thermometer 36,5 Grad (!) an, noch spüre ich die Hitze in der Motorradkluft nicht wirklich. Wir fahren am Zugersee vorbei, dem Lauerzersee, ich seh, wie andere am baden sind. Dann liegt der Vierwaldstättersee vor uns, das Dampfschiff pflügt gemächlich seinen Weg durch den See.

In Amsteg verlassen wir die Gotthard-Autobahn. Wie Wespennester kleben die Bauernhöfe an den steilen Hängen des Urner Landes. In Wassen geht es rechts weg, der Anstieg zum Sustenpass beginnt. Über eine Gallerie läuft Wasser. Vor drei Wochen war der Pass noch nicht geöffnet. Einsam kann es hier im Meiental für die wenigen Menschen werden, wenn der Schnee so hoch liegt, dass sie wieder einmal von der Aussenwelt abgeschnitten sind.

Tatsächlich klebt der Schnee in den Mulden und zwischen den Sträuchern und erinnert mich an das gefleckte Fell einer Kuh.

Unser Ziel ist ein Halt beim „Sustenbrüggli“, einem beliebten Treff nicht nur für Motorradfahrer. Eine knusprige Rösti möchte ich hier essen und gleichzeitig testen, ob die neue Wirtin dieses Gericht ebenfalls so knusprig brät wie Ueli, der jetzt seine Pension geniesst. Den Test besteht die Wirtin mit Bravour, das Wirteehepaar kann bleiben 😉

Die Jacken behalten wir an, denn wir sind zu verschwitzt und die Temperatur ist merklich zurückgegangen. Auf der Passhöhe, auf 2224 Metern, ist es aber immer noch 17 Grad, aber Schnee liegt hier noch viel. Bergfrühling und Sommer finden hier miteinander statt, die Haselstauden blühen gleichzeitig mit den Alpenrosen.

Nun liegt die Abfahrt ins Berner Oberland vor uns. Kurve um Kurve geht es hinunter und meine Augen können sich an der prächtigen Landschaft kaum satt sehen. Gletscher leuchten im Abendlicht, das nicht mehr ewige Eis, demzufolge liegen auch immer einmal Steine auf der Strasse. Wasserfälle, die sich über die Felsen stürzen und Bäche, die eine weisse Spur von den Hängen bilden.

Knorrige Fichten und Tannen klammern sich am felsigen Untergrund fest. Im Gegenlicht glaubt man filigrane Scherenschnitte vor sich zu haben. Die Temperatur klettert wieder hinauf. Unten in Innertkirchen hat uns der Sommer wieder, es ist immer noch über 30 Grad.

An der Aareschlucht vorbei, Wegweiser zu den Reichenbachfällen (Sherlock Holmes läst grüssen), ereichen wir den Brienzersee, der gletscherblau vor uns liegt. Bei Interlaken stehen die vielen Lastwagen an, um ihre Plätze zugewiesen zu bekommen auf dem ehemaligen Militärflugplatz, wo dieses Wochenende zum 19. Mal das Country- und Trucker-Festival stattfinden wird. Wehmut kommt auf, waren wir doch selber mit dem Lastwagen oft dabei. Irgendwie vermisst man das Erlebnis dann doch.

Der Thunersee, der fünfte und letzte See sieht im Abendlicht wunderbar aus. Die Stimmung ist einzigartig, denn die Sonnenstrahlen legen einen Fächer durch die dunklen Wolken über das Wasser. Stau! Am dümmsten Ort hat ein LKW eine Panne, eine kilometerlange Kolonne bildet sich dahinter Richtung Interlaken. Aber die Stimmung ist ausgelassen. Menschen sitzen mit Campingstühlen am Strassenrand und schauen dem Treiben zu, wir hupen und winken. Die Leute winken fröhlich zurück. Auch auf den Brücken stehen die Leute, nicht wegen dem Stau, sondern weil es fantastisch anzusehen ist, wie der Lastwagenkonvoi, der nur ein Ziel kennt, unten über die Strasse rollt.

Wir sind daheim, raus aus den Motorradkleidern, rein in die Badehose und nichts wie ab zum See hinunter. Fünf Minuten Fussmarsch trennen uns vom wohltuenden Nass. Der See hat eine Temperatur von 18 Grad, herrlich für eine Abkühlung. Um halb neun Uhr abends stürzen wir uns vergnügt ins Wasser. Das nenne ich Lebensqualität. Es wäre unvorstellbar gewesen, an fünf Seen, unzähligen Wasserfällen und Bächen vorbeizufahren und dann keine Abkühlung von der gewaltigen Hitze zu bekommen. Das war ein toller Abschluss, um ins Wochenende zu starten.

Samstag

Am Morgen noch etwas Haushalt und Einkaufen, eigentlich ist es viel zu heiss, sich zu bewegen. Beim Frühstück schwitzt der Käse genauso wie ich. Der Nachmittag ist für das Country- und Trucker-Festival in Interlaken reserviert. Wenigstens als Besucher müssen wir hin. Wobei, Country interessiert die einen, die anderen gehen vor allem auch wegen der grossartigen Atmosphäre auf der Flugpiste hin, wo ca. 1400 bis 1500 Lastwagen Stellung bezogen haben. Das letzte Wochenende im Juni ist für viele LKW-Fahrer wie Weihnachten.

Hier hat man wieder einmal Zeit, sich mit den Kollegen zu treffen, die man sonst nur beim Vorbeifahren auf der Strasse grüsst und einen Funkspruch durchgibt, sofern ein Funk vorhanden ist. Man ist hier um zu feiern und ausgelassen zu sein. Ich mag es den Männern und Frauen von Herzen gönnen, denn, was wäre unser tägliches Leben, unsere Wirtschaft, ohne die Lastwagen-Chauffeure? Wir sind auf diese Menschen und ihre Arbeit angewiesen, auch wenn viele die grossen Fahrzeuge verfluchen. Aber ohne sie geht nun mal gar nichts! Das sollte sich jeder von uns bewusst sein.

Fahrer aus der ganzen Schweiz finden den Weg ins Berner Oberland,aber nicht nur… aus dem nahen Österreich und dem ferneren Holland und wenige aus Deutschland sind hier anzutreffen. Kollegen besuchen sich gegenseitig bei den Lastwagen. Ganze Wagenflotten des gleichen Transportunternehmens stehen in Reih und Glied. Freunde und Familie und Lastwagenfans finden sich ein. Dazwischen sind Menschen in Westernkleidung und Cowboystiefel unterwegs, die dann auch den Weg ins Westerndorf finden, wo Country-Musik zu hören ist und der Countryfan alles findet, was er begehrt. Am Abend finden Konzerte im grossen Zelt statt. Doch das Westerndorf suchen wir nicht auf.

Sheriff oder Bandit?

Wir laufen durch die Gegend, machen immer wieder einem seltsamen Gefährt Platz, das vorbeifahren will. Bierbänke und Tische sind auf einer Ladefläche montiert. Leute sitzen an den Tischen, trinken und lachen, Country,Ländler und andere Musik ertönt aus Lautsprechern. Diese Fahrzeuge wurden aus alten Mofas gebaut, werden von Motormähern gezogen oder von kleinen Traktoren. Es rattert und knattert, dazwischen auch einmal etwas Elektrisches und leises. Rollschuhe und Fahrräder erleichtern den langen Weg pistauf und pistab. Was man hier sieht lässt einen manchmal laut herauslachen. Es ist amüsant und immer wieder erstaunlich, was sich die Leute alles ausdenken, um vorwärts zu kommen.

Besucht man Kollegen, gebietet es der Anstand, dass man etwas zu trinken bekommt. Ich muss nicht erwähnen, dass jetzt einmal reichlich Bier fliesst, vor allem wenn es so heiss ist wie heute. Aber die Stimmung bleibt meist friedlich. Ich habe noch nie erlebt, dass hier der Frieden getrübt würde durch Gewalt, wie es oft in den Städten vor Clubs vorkommt. Essen wird mitgenommen, es wird gegrillt. Auch wir kommen nicht zu kurz. Sogar zum Schmaus einer selbstgebackenen Schwarzwälder-Torte werden wir eingeladen, eine der besten, die ich je gegessen habe. Dann sieht es nach Regen aus, doch ausser drei, vier Tropfen passiert heute nichts.

Aus Lastwagen und Paletten lässt sich viel machen. Ladeflächen werden zu Wohn- und Schlafzimmern, Viehtransporter, sauber gefegt, beherbergen Küchen, Kühlwagen nehmen die Lebensmittel und Getränke auf, die nicht verderben sollen.

Dusche

Die Plachen schützen vor Hitze und Regen. Kipper werden mit Wasser gefüllt und so zum Swimmingpool. Kranwagen mutieren zu Aussichtsplattformen und manch eine Gruppe hat das aufblasbare Schwimmbecken dabei, für eine Abkühlung.

Abkühlung muss sein

Paletten werden zu Ablagen, Treppen und die Firma Volvo hat aus Paletten eine Festwirtschaft gebaut, die wie eine Bienenwabe aussieht, ganz grossartig.

Baucontainer kann man ebenfalls als Schlafzimmer nutzen, der Fantasie sind in diesen drei Tagen keine Grenzen gesetzt. Viel zu schnell geht der Abend vorbei. Wir fahren wieder nach Hause, mit mir als Wassertrinkerin am Steuer. Es wird eine Tropennacht, das Thermometer zeigt auch um ein Uhr morgens noch 22 Grad an.

Sonntag

Wir öffnen die Tür, kalte Luft weht herein – was?! – es ist nur noch 16 Grad. Es beginnt zu regnen. Trotzdem entschliessen wir uns, mit dem Motorrad nach Zürich zu fahren. Trotz des schlechten Wetters geniesse ich die Fahrt neben der Autobahn über Land. Als wir den Kanton Aargau erreichen kommen wir dann doch noch in ziemlich starken Regen, es ist nicht mehr viel zu sehen. Am Abend erfahren wir in der Tagesschau, dass in Zürich Hagel in Grösse von PingPong-Bällen gefallen ist. Wir haben von allem nichts gemerkt und sind verschont geblieben.

Ein intensives und aussergewöhnliches Sommerwochenende, was die Erlebnisse und das Wetter betreffen, geht zur Neige.