Offener Brief an Gabriel García Márquez

Da lese ich dieser Tage in der Zeitung, dass Sie an dieser fürchterlichen Krankheit leiden, die jede Familie ereilen kann – Demenz. Sie machte auch nicht vor Ihnen halt. Und deswegen dürfen wir auch keine neuen Werke mehr von Ihnen erwarten, was mich sehr traurig macht.

Ich bin sehr froh, dass Sie Ihr Jurastudium nicht beendet haben, um Anwalt zu werden. Unter Umständen wäre die Literaturwelt um einige Meisterwerke ärmer. Statt der Juristerei haben Sie sich für Poesie und Literatur interessiert und unter anderem haben Sie sich mit den Werken von Ernest Hemingway und William Faulkner beschäftigt. Das kann ich nur allzu gut nachvollziehen, denn die Bücher dieser zwei Autoren sind auch stark in meinem Bücherregal vertreten. Ich könnte eigentlich alle nebeneinander auf das gleiche Bord stellen. Wäre interessant zu hören, was der Farmer Anse (Faulkner) mit dem alten Mann (Hemingway) und dem Schiffbrüchigen (García Márquez) so zu bereden hätten. Mit Haifischen haben zwei von den Teilnehmern ja Erfahrung, mit Wasser sogar alle drei.

Ich kam als junge Frau erstmals mit einem ihrer Bücher in Berührung. Ich erinnere mich sehr gut, welches Werk ich als erstes von Ihnen gelesen habe: „Bericht eines Schiffbrüchigen“. Ein packendes Buch, das ich kaum aus den Händen legen konnte. Es zeugt von höchster Schreibkunst, wenn man einen Leser an die Lektüre fesseln kann, mit nur gerade einem Protagonisten, ein wahres Kammerspiel. Eindrücklich haben Sie nach der Rettung eines Matrosen, der tagelang auf einem Floss im Ozean trieb, dessen Erzählung zu Papier gebracht. Mit diesem Bericht hatten sie mich bereits in der Tasche.

Dann las ich „Hundert Jahre Einsamkeit“. Die Familiengeschichte der Buendias in Macondo wurde Weltliteratur. Dafür haben Sie zu Recht 1982 den Nobelpreis für Literatur erhalten. Auch für Politik haben Sie sich interessiert und sich auch rege engagiert. Sie wurden sogar ein guter Freund von Fidel Castro. Dass Sie als Journalist gearbeitet haben, kommt in der Reportage „Das Abenteuer des Miguel Littín“ zum Audruck. Denn zuerst haben Sie den Exilchilenen Miguel Littín eine Woche lang interviewt, bevor sie das Buch, über dessen heimliche Filmaufnahmen in seiner Heimat Chile während der Pinochet-Diktatur, geschrieben haben. Etliche Ihrer Romane dienten als Filmvorlage, so auch „Chronik eines angekündigten Todes“ mit Rupert Everett, Ornella Muti und Irena Papas. Allerdings hat mir die Verfilmung nicht ganz so gut gefallen wie das Buch. „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“ fand ebenfalls einen Regisseur und wurde mit Javier Bardem in der Hauptrolle verfilmt. Und ich muss Ihnen etwas gestehen. Ausgerechnet diesen Roman habe ich nicht gelesen, obwohl es zu den bedeutendsten Werken des 20. Jahrhunderts gehört. Entschuldigung – ich werde das noch nachholen.

Da Sie auch viele Erzählungen geschrieben haben, liess ich mir von Jan Josef Liefers „Das Leichenbegräbnis der Grossen Mama“ als Hörbuch vortragen. Für mich sind und bleiben Sie der Erzähler ganz grosser Geschichten. Südamerika bietet sich ja förmlich an für spannende Momente und intensive Gefühle. Man kann förmlich ertrinken zwischen den Buchseiten Ihrer Werke. Ihre Freunde nennen Sie Gabo. Für mich sind Sie ebenfalls ein guter Freund geworden, denn viele Stunden in meinem Leben haben Sie mich mit Ihren Büchern verzaubert.

Wenn ich könnte wie ich wollte, würde ich Sie, zusammen mit Ihrem ägyptischen Schriftsteller-Kollegen Nagib Machfus, den ich ebenfalls sehr verehre, an meinen Tisch einladen, um mit Ihnen beiden über Gott und die Welt zu plaudern und um weiteren Erzählungen zu lauschen. Aber eben ….

Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute und ich danke Ihnen für all die schönen Lesemomente, die Sie mir und Millionen Lesern auf dieser Welt mit Ihren Werken beschert haben.

Ihre buechermaniac

Offener Brief an Friedrich Dürrenmatt

Kürzlich ist im Diogenes Verlag eine 960-seitige (!) Biographie über Sie erschienen. Auch das neue Diogenes Magazin widmet Ihnen einen ganzen Sonderteil. Ich lese, dass der Schweizer Journalist, Peter Rüedi, die Darstellung der Biographie, chronologisch gesehen, 1957, mit dem Welterfolg des Theaterstücks „Der Besuch der alten Dame“ enden lässt.

„Der Besuch der alten Dame“, ich komme nicht davon los. Dieses Stück habe ich das erste Mal im Fernsehen gesehen, es wurde damals in einer berndeutschen Dialektfassung aufgeführt. Bis heute sind mir gewisse Szenen daraus, vor allem mit den Eunuchen der Claire Zachanassian, im Gedächtnis haften geblieben, so dass ich sie heute noch teilweise nachsprechen kann. Es waren die komischen Momente in dieser Tragikomödie. Als ich etwas älter war, habe ich die Hollywood-Version mit Ingrid Bergmann gesehen. Der Film wurde kein Knüller, aber das hat Sie nicht gestört.

Und dann kam der ganz grosse Moment: Im letzten Schuljahr haben wir das Stück im Deutschunterricht regelrecht seziert. Der Höhepunkt war dann am Examen unsere Aufführung. Der Deutschlehrer hatte mir sogar die Hauptrolle gegeben. Es hat viel Mühe bereitet, die langen Texte auswendig zu lernen. Dann, eines Tages, entschied der Lehrer anders; die Zweitbesetzung, Silvia, sollte Claire Zachanassian spielen, ich sollte die Rolle des Lehrers übernehmen.

Können Sie sich das vorstellen? Das war für mich zuerst geradezu eine Abwertung. Ich war empört und enttäuscht über seinen Entscheid. Ich konnte nicht nachvollziehen, weshalb unser Lehrer sich anders entschieden hatte. War es, weil Silvia Schülerin in seiner eigenen Klasse war? Keine Ahnung. Ich fand Silvia damals so langweilig und fade. Claire hatte schliesslich grosses Temperament.

Ich muss gestehen, dass die Rolle des Lehrers dann allerdings auch nicht ohne war. Sie haben sich da ziemlich lange Monologe für ihn ausgedacht. Wie Silvia schliesslich die Claire gespielt hat, weiss ich heute nicht mehr, denn ich hatte damals genug zu tun mit meiner Rolle.

Als der grosse Moment, nach vielen Proben, endlich gekommen war, war ich fürchterlich nervös. Ich hatte schreckliches Lampenfieber, stand hinter der Bühne und ging diverse Textpassagen innerlich nochmals durch. Ich war plötzlich nicht mehr sicher, „kommt das jetzt oder erst im 2. oder gar 3. Akt? – was ist, wenn ich nicht mehr weiter weiss?-  -mein Gott, ich habe den Text vergessen! Hilfe!! -“

Dann musste ich raus auf die Bühne und meine Beine zitterten. Eine Souffleuse stand an der Seite, hinter dem Bühnenvorhang. Aber wie von Geisterhand war mir der ganze Text wieder präsent. Ich versichere Ihnen, ich war überglücklich darüber. Allerdings war ich froh, dass die Scheinwerfer eingeschaltet waren und den Saal, ausser den ersten Reihen, im Dunkeln liessen. So konnte ich das Publikum kaum sehen, denn der Kirchgemeindesaal war proppenvoll. Alle Eltern und auch Bekannte sind zur Aufführung gekommen.

Es war nicht nur für mich, auch für die Anderen, ein einmaliges Erlebnis, einmal im Leben auf den „Brettern, die die Welt bedeuten“ zu stehen. Und es kommt hin und wieder bei einer unserer  Klassenzusammenkünfte vor, dass „Der Besuch der alten Dame“ einmal mehr Gesprächsthema wird.

Jener Abend bleibt unvergessen in meinen Erinnerungen und ich danke Ihnen für dieses grossartige Theaterstück.

Hochachtungsvoll

eine Verehrerin Ihrer Werke

(Anmerkung: Der Zufall wollte es, dass ich am Literaturfestival „Zürich liest“ auf dem Stadtrundgang eine alte Dame aus Zürich kennenlernte, die Friedrich Dürrenmatt persönlich gekannt hat. Er hat, einige Zeit bei ihrer Familie in Zürich gewohnt und sie hat mir ein wenig berichtet. Wir haben uns sehr gut unterhalten und vielleicht ergibt es sich noch, dass ich aus jener Zeit etwas erzählen kann.)