Dieses Jahr habe ich mir nur gerade einen Literaturanlass am „Zürich liest“-Literaturfestival ausgesucht. Man wird mit der Zeit verwöhnt und geht man jedes Jahr hin, ist es nicht zu vermeiden, dass sich gewisse Anlässe wiederholen, auch wenn andere Autoren eingeladen sind, ein anderer literarischer Spaziergang angeboten wird und aus einem Werk eines verstorbenen Autors auf dem Schiff vorgelesen wird.
Ich habe mich erneut für die Autoren, die für den Schweizer Buchpreis nominiert waren, entschieden: Ralph Dutli, Roman Graf, Jonas Lüscher, Jens Steiner und als einzige Frau Henriette Vásárhelyi. Es war am Freitagabend quasi der Endspurt, bevor die Preisverleihung am Sonntag an der BuchBasel stattfand.
Seit sechs Jahren werden die Autoren und ihre Romane im Literaturhaus vorgestellt. Hinter den Nominierten liegen viele Lesestationen und zwar nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland. Einige von ihnen waren ja bereits für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Das Literaturhaus war gerammelt voll. Die Literaturjournalistin Insa Wilke führte, wie schon letztes Jahr, durch den Abend, fühlte den Autoren mit ihren Fragen, die einen Bogen vom einen zum anderen bilden sollte, nochmals auf den Zahn.
Sie fragte zum Beispiel, ob die Autoren am Schauplatz ihrer Handlung waren oder ob sie eigene Erfahrungen in ihrem Buch verarbeitet hätten. Jonas Lüscher war für seine Novelle „Frühling der Barbaren“ nicht in Tunesien, aber in der Regel besuche er für seine Recherchen schon gerne den entsprechenden Ort.
Ralph Dutli, dessen Roman „Soutins letzte Fahrt“ in Paris angesiedelt ist, erzählte, dass er selbst zwölf Jahre in Paris gelebt habe und wohnte „einen Spaziergang entfernt, wie er sagte, von der Gegend, wo die Künstler verkehrten und ihre Ateliers hatten, so wie der Maler Chaim Soutin. Die Erfahrung eines Magengeschwürs oder von morphinen Träumen habe er aber nicht gemacht. Er habe sehr gute Unterstützung von Fachpersonen erhalten,
Seine Schilderungen im Roman müssen so gut sein, dass in Amerika jemand vermutet habe, er schreibe aus eigener Erfahrung. Er betrachte dies als Kompliment. Das zeige doch, dass ihm die Darstellung gelungen sei.
Roman Graf, der in „Niedergang“ über ein Paar schreibt, das eine Bergtour unternimmt, meinte, dass ihn vor allem die negativen Eigenschaften einer Person interessieren. André, seine Hauptfigur habe gewisse Züge von ihm – also nur einige – wie er dann noch hinzufügt. Denn André ist einem als Leser nicht immer sympathisch.
Jens Steiner bestätigt, dass er, wie seine Figuren im Roman „Carambole“, in einem Dorf aufgewachsen sei. Ein Dorf, in ländlicher Umgebung, aber nicht allzu weit von der Stadt entfernt, kein Bahn- sondern nur mit Busanschluss. Und in der Tat, auch der Ort, an dem Steiner aufgewachsen ist, ist so ein Dorf.
Henriette Vásárhelyi, die in ihrem ersten Roman „immeer“ über eine Frau schreibt, die versucht über den Tod ihres Freundes hinwegzukommen, hat ihr nahestehende Menschen verloren. Aber das hat wohl jeder von uns.
Eineinhalb Stunden für fünf Gesprächspartner ist sehr knapp bemessen, so kommen dann auch nicht alle gleich zu Wort. Und jeder soll auch noch aus seinem Roman oder seiner Novelle etwas vorlesen. Bei Lüscher darf gelacht werden, bei Graf und Vásárhelyi ist man eher nachdenklich gestimmt. Jens Steiners Kapitel ist komisch und absurd zugleich. Es macht Spass, dem Autor zuzuhören. Insa Wilke erwähnt, dass das Buch auch ernsthaft und alles andere als lustig sei.
Ralph Dutli liest Passagen vor, aus den morphinen Träumen von Chaim Soutil. Ihm könnte man noch lange zuhören, denn er fesselt den Zuhörer mit seiner Art zu lesen. Dutli betont ausdrücklich, dass sein Roman keine Biographie sei, über Chaim Soutil sei sehr wenig bekannt: „Was man nicht weiss, muss man erfinden.“
Und genau das ist es, was das Lesen immer wieder interessant und abwechslungsreich macht, wenn man Geschichten zu lesen bekommt, die all die Autoren für uns erfinden und uns in eine andere Welt eintauchen lassen.
Dann ist die Zeit auch schon um. Lüscher und Graf atmen auf, es ist endlich geschafft. Jetzt heisst es warten auf den Sonntag. Ich lasse mir die Bücher, die ich mitgebracht habe, von jedem signieren. Jens Steiner erwähnt nochmals, dass sein Buch nicht nur lustig sei und Ralph Dutli zuckt nur mit den Achseln, als ich ihm Glück für die Preisverleihung wünsche.
Und noch während ich diesen Bericht schreibe, höre ich am Radio, dass Jens Steiner den diesjährigen Schweizer Buchpreis gewonnen hat.