Geschichte eines Verschwindens

„Es gibt Zeiten, da lastet die Abwesenheit meines Vaters auf mir, als sässe mir ein Kind auf der Brust.“ Mit diesem Satz beginnt der neue Roman von Hisham Matar.

Nuri ist zwölf Jahre alt, als er die junge Mona entdeckt. Er fühlt sich von der Frau sehr angezogen. Die Engländerin spricht etwas Arabisch, da ihr Vater Araber war. Seit zwei Jahren, seit seine Mutter gestorben ist, verbringt er, zusammen mit seinem Vater, die Ferien in einem Hotel in der Nähe von Alexandria. Die Mutter bevorzugte die Abgeschiedenheit in den Bergen, im Norden und vor allem war ihr die Kühle lieber als die Hitze. Hier hatte sie die Familie jeweils für zwei Wochen ganz für sich. Warum die Mutter gestorben ist, erfährt man nicht.

Die Tage verbringt er nun mit Mona, die sich am Abend an den Tisch von Vater Kamal und Nuri setzt. Dann lässt der Vater seinen Charme spielen und versucht Mona mit seiner Intelligenz zu beeindrucken. Zum ersten Mal seit dem Tod der Ehefrau, glänzen seine Augen wieder.

„Sie war sechsundzwanzig, Vater einundvierzig und ich zwölf: Fünfzehn Jahre lagen zwischen den beiden und vierzehn zwischen ihr und mir. Er hatte kaum ein grösseres Anrecht auf sie als ich.“ So klingt Nuris Eifersucht und Besitzanspruch.

Es vergehen nur wenige Monate bis Kamal und Mona in London heiraten, ohne dass Nuri dabei ist. Als Ehepaar kehren sie nach Kairo zurück.

Während einer gemeinsamen Nilreise findet Kamal seinen Sohn bei Mona im Zimmer und sieht, wie sein Sohn Mona, die nur mit einem Handtuch bekleidet ist, das Haar bürstet. Er schweigt, aber von diesem Moment an, spricht er während der ganzen Reise nur noch mit Nuri, wenn Mona anwesend ist.

Bald schon wird entschieden, dass Nuri die Schule, in einem altehrwürdigen Internat in Nordengland, besuchen soll, da sein Englisch inzwischen gut genug ist. Die Familie verbringt noch einige gemeinsame Tage in London und begleitet Nuri nur noch bis zum Bahnhof. Sein Vater verspricht ihm, ihn so oft als möglich zu besuchen. Im Internat teilt Nuri das Zimmer mit einem deutschen Jungen, Alexej. Er ist der Sohn eines Dirigenten. Ihm vertraut er seine Gefühle für Mona an. Er schreibt ihr regelmässig, Mona hingegen begnügt sich mit knappen Postkartengrüssen.

Nuri ist inzwischen vierzehn Jahre alt. Die Weihnachtsferien stehen bevor und er reist wieder einmal in die Schweiz, wo er Mona im „Montreux Palace“ treffen soll. Der Vater wird später nachkommen. Nach einigen Tagen, der Vater ist bereits überfällig, schockiert sie ein Zeitungsartikel in der „Tribune de Genève“. Nuris Vater wurde von zwei Unbekannten aus einer Wohnung in Genf verschleppt, mitten in der Nacht. Die Wohnung gehört nicht etwa Nuris Vater, sondern einer ihnen unbekannten Schweizer Frau.

Was hat der Vater dort gemacht? Und weshalb wurde er entführt? Fragen, die ihnen einstweilen niemand beantworten kann.

Nuri und Mona reisen unverzüglich nach Genf, treffen den Anwalt der Familie, sprechen mit der Polizei, die verspricht, alles zu tun, was in ihrer Macht stünde, um Kamal Pascha el-Alfi zu finden.

„Ich versteckte den Plastikbeutel der Polizei mit den letzten Sachen meines Vaters in meinem Kleiderschrank. Ich hatte Angst, dass mich Mona danach fragen würde, und konnte mir nicht vorstellen, ihn je wieder herzugeben.“

Aus Sicherheitsgründen verlassen sie die Schweiz, um nach Kairo zurück zu kehren. Bange Wochen vergehen ohne eine Spur des Vaters. Mona und Nuri suchen im Arbeitszimmer nach irgendwelchen Hinweisen, finden aber nur die Kopie des Vermächtnisses. Als hätte der Vater geahnt, dass ihm irgendwann einmal etwas zu-stossen könnte. Nuri wird nicht müde, Mona oft intensiv anzusehen.

„Du bist ein seltsamer Junge. Wenn ich dich liesse, würdest du mich dein ganzes Leben lang ansehen.“

In dieser Zeit kommen sich Nuri und Mona eines nachts näher, als sie dürften. Das Hausmädchen Naima sieht Nuri am nächsten Morgen schlafend in Monas Bett, äussert sich aber nicht dazu.

Mona entscheidet schliesslich, dass es besser ist, Kairo zu verlassen. Sie will wieder nach London ziehen, sich dort eine Wohnung suchen. Nuri soll zurück aufs Internat. Die Schulleitung erfährt nicht, weshalb Nuri zu spät aus den Weihnachtsferien in die Schule zurückkehrt.

Mona besucht Nuri nach einigen Tagen im Internat, was sie der Schulleitung erzählt hat, weiss er nicht.

„Wir sind entschlossen, deine Ausbildung und deinen Stand unter deinen Kameraden zu sichern. Selbst in den dunkelsten Zeiten muss das Lernen weitergehen“, so der Schulleiter zu Nuri.

Nuri überlegt lange, ob er sich Alexej anvertrauen soll. Einmal hätte er ihn beinahe in sein Geheimnis eingeweiht, lässt es dann aber bleiben. Warum soll er seinen Freund belasten? Der Anwalt schreibt ihm regelmässig, schon weil er das Vermögen verwalten muss.

Ich verspürte Eifersucht und gleichzeitig Wut darüber, dass er so in der Vergangen-heitsform über meinen Vater schrieb, als wüsste er mehr als ich, nicht nur über die Person meines Vaters, sondern auch darüber, was ihm widerfahren war.“

Nuri beendet die Schule. Mona sieht er nur noch selten, das Feuer für sie ist aus verschiedenen Gründen am  Erlöschen. Er promoviert in Kunstgeschichte und entschliesst sich nach Genf zu fahren, nochmals das Haus zu sehen, aus dem
sein Vater vor zehn Jahren verschwunden ist und mit Béatrice Benameur, dieser
Schweizerin, zu sprechen. Er will endlich mehr über das Verschwinden seines
Vaters herausfinden. Als er mit Hilfe des Anwalts Béatrice trifft, erfährt er, dass diese seinen Vater bereits zu Lebzeiten der Mutter kennen gelernt hat. Die Frau erzählt von der gemeinsamen Zeit mit Kamal, fragt schliesslich auch nach Nuris Stiefmutter:

„Anfangs dachte er, Mona wäre vielleicht gut für Sie, weil er sah, wie sehr Sie beide sich mochten.“

Die neuen Erkenntnisse sind verwirrend und aufschlussreich zugleich. Nuri besucht Mona nochmals in London und berichtet ihr von Genf. Das Gespräch endet im Streit und Mona konfrontiert ihn mit einer schrecklichen Tatsache.

„In diesem Moment hasste ich Mona. Ihre Bosheit, ihre Wut und ihre Traurigkeit. Aber ich war entschlossen meine Fassung zu wahren.“

Er kehrt nach Kairo zurück. Der alte Hausmeister Am-Samir erkennt den jungen Mann kaum wieder. Die Freude auf beiden Seiten ist gross. Auch Naima wird geholt und Nuri richtet sich nicht nur in der alten Wohnung neu ein, sondern beginnt ein neues Leben.

Hisham Matar lässt auch in seinem zweiten Roman einen Ich-Erzähler zu Wort kommen. Das Buch liest sich auf der einen Seite wie ein Krimi. Es ist gleichzeitig auch eine Liebeserklärung an seinen Vater, einem Vater, der stets etwas Geheimnisvolles an sich hatte und den Nuri nie ganz kannte. Erzählt wird aber auch die Liebe eines heran-wachsenden Jungen zu einer jungen Frau, von der er träumt. Einer Frau, die ihm lange mehr bedeutet als sein Vater, bis zu dessen Verschwinden.

Das Buch ist in einer sehr poetischen Sprache geschrieben und wie auch der erste Roman „Im Land der Männer“ hat mich auch der zweite Roman absolut überzeugt. Autobiographische Elemente sind insofern vorhanden, als dass auch Hisham Matars Vater aus dem ägyptischen Exil von der Geheimpolizei entführt und den libyschen Schergen Ghadafis übergeben wurde und in einem der libyschen Kerker endet. Der Roman setzt sich mit dem Verlassen werden, eines geliebten Menschen, ausein-ander. Wie der Autor in einem Interview erwähnte, kann er sich sehr gut vorstellen, bald nach Libyen zurück zu kehren. Er bezweifelt jedoch, dass sein Vater noch am Leben ist.

Vater-Sohn Beziehung

 

 

David Vann

Im Schatten des Vaters

 

Der Vater, geschieden, lädt seinen Sohn ein, mit ihm ein Jahr auf einer abgelegenen Insel vor Alaska zu verbringen, die nur per Boot oder Wasserflugzeug zu erreichen ist. Der 13-jährige Roy will eigentlich nicht mit, denn was soll er da, weit weg von seinen Freunden, seiner Schwester und Mutter. Seine Mutter empfiehlt ihm aber, genau über seine Entscheidung nachzudenken, wenn er, nach einer Nacht darüber schlafen, immer noch nicht mit will, so ist das o.k. für sie.

Der Vater, Jim, ist nicht wirklich gerüstet, um ein Jahr auf dieser Insel zu verbringen. Zudem fehlt der richtige Draht zu seinem Sohn. Er ist depressiv, spricht und weint nachts, so dass Roy, sich am liebsten die Ohren zuhält. Der Vater spricht mit Roy über Dinge, die man normalerweise nicht unbedingt als Erwachsener mit einem 13-jährigen Kind bespricht. Am Besten geht es Roy wenn er alleine zum Fischen gehen kann. Er wünscht sich nichts sehnlicher, als nach Hause nach Kalifornien zu reisen, lässt sich dann aber von seinem Vater umstimmen, doch zu bleiben. Der erste Teil des Buches endet so dramatisch, mir blieb die Luft weg, so schockierte mich dieser. Der zweite Teil war für mich ebenfalls ziemlich furchterregend und bildlich möchte ich mir das nicht nochmals vorstellen.

Ich erzähle absichtlich nicht, was zum Ende des ersten Teils passiert ist, auch wenn das vielleicht manch einer schon in einer Rezension gelesen hat, ich damals nicht. Denn man sollte sich diese Geschichte, besser gesagt, diese Novelle, selber zu Gemüte führen. Allerdings wäre es vielleicht von Vorteil gewesen, wenn man gewusst hätte, dass David Vann mit dieser Novelle den Suizid seines eigenen Vaters verarbeitet hat. Und es ist nur eine Geschichte aus mehreren, aus dem Buch „Legend of a Suicide“.