Bevor ich mit dem Auto zum Bahnhof fuhr, half mir mein Liebster erst einmal, das Auto unter einer Schneeschicht von zehn Zentimeter zu befreien! Das Thermometer pendelte um den Gefrierpunkt. Mit dem Zug fuhr ich nach Zürich, zur Abschlussveranstaltung des Literaturfestivals „Zürich liest“. Die Stadt lag tief verschneit vor mir. Irgendwie fehlte nur noch die Weihnachtsbeleuchtung, nur etwas passte nicht ganz ins Bild – die Bäume. Die farbigen Blätter schauten noch ein wenig aus dem Weiss und die Äste schienen sich tief zu verneigen.
Als ich mit einer Freundin vor dem Stadthaus ankam, standen schon einige Besucher vor der Tür. Es hätte wohl keiner etwas dagegen gehabt, wenn sich die schwere Tür früher als vorgesehen geöffnet hätte. Das Publikum nahm in den Reihen Platz und einige stellten sich an die Brüstung im ersten Stock.
Wir sichteten ein junges Paar mit Kinderwagen! Das musste definitiv der jüngste Zafón-Fan in der Halle sein! Die Frauen rundherum und auch ich, konnten es nicht richtig glauben, dass man überhaupt Leute mit Baby an eine Lesung liess. Es war dann aber, ausser einem kurzen Weinen, irgendwo aus dem Off, ruhig.
Im rot-blau gestreiften Pullover mit schwarzer runder Brille, trat Carlos Ruiz Zafón auf die Bühne. Bereit stand schwarzglänzend der Flügel.
Die Leiterin des Literaturhauses, Beatrice Stoll, begrüsste das Publikum und den Gast, und erzählte, wie man in der Stadt Zürich nach Schokolade gesucht habe, die einen Drachen als Motiv hat. Zurzeit müssen wieder hauptsächlich Engel als Motiv herhalten, bis Weihnachten dauert es nicht mehr allzu lange. Der Autor, der im chinesischen Sternzeichen des Drachen geboren ist, sammelt diese Wesen seit Jahren. Schlussendlich gab es Schokolade mit dem Tierwappen der Stadt Zürich – dem Löwen – der passe doch auch zum Drachen, wie Frau Stoll meinte.
Das Gespräch führte Res Strehle, Co-Chefredaktor des Tages Anzeigers und bat den Autor schon bald an den Flügel, um eine seiner Kompositionen vorzutragen. Zafón meinte, er sei kein guter Pianist, aber er liebe die Musik. Wir seien sicher nicht hierher gekommen, um ihn Klavier spielen zu hören und wir hätten jetzt noch Zeit, den Raum zu verlassen. Er spielte ein Stück mit dem Titel „Monte Cristo“ passend zu einer Stelle in seinem neuen Buch „Der Gefangene des Himmels“. Seine Musikstücke, passend zu seinen Büchern, kann man sich hier anhören.
Als ihn der Gesprächsleiter fragte, wie er sich für das Schreiben inspiriere, antwortete der Autor: „Wissen Sie, wenn ich auf die Inspiration vom Himmel warten würde, dann hätte ich noch keine einzige Zeile geschrieben.“ Seine Romane entstehen in Barcelona und in Los Angeles, wo er ebenfalls ein Studio hat. Er arbeite viele Stunden, fünf bis sechs Tage die Woche. Ein akzentfreies amerikanisches Englisch, mit einer angenehmen und weichen Stimme, schwingt einem entgegen. Es ist schön, ihm zuzuhören.
Bis er, wie er sagt, am 1. Januar 1990, nur noch als Schriftsteller tätig ist, arbeitete er in der Werbung und verdiente viel Geld. So viel Geld, dass sich sein Vater gefragt habe: „What the hell is he doing? Is he selling drugs?“ Worauf er seinen Vater beruhigen konnte, dass er nichts Illegales tue und keine Drogen verkaufe. Man hätte ihm mehr Geld geboten, dass er weitermache, aber das wollte er nicht. Sein erster Roman landete im Papierkorb, der zweite wurde verlegt und dann ging es los.
Carlos Ruiz Zafón las nur wenig aus seinem neuen Roman in Spanisch vor. Zuvor fragte er ins Publikum, wer denn Spanisch spreche und verstehe. Es flogen einige Hände in die Höhe, nicht zuletzt von spanischen Zuhörern. Dann wehten einem die spanischen Sätze, zwar sanft, aber doch wie ein aufkommender Sturm, entgegen. Da reichen einige Brocken Spanisch dann nicht mehr, um alles zu verstehen. Abhilfe schaffte der Schauspieler Sebastian Arenas, mit peruanischen Wurzeln, der den deutschen Text las.
Ein zweites Mal setzte sich der Autor ans Klavier, um „Isabellas Theme“ und sozusagen einen Trailer, wie er es nannte, für sein nächstes Buch, das wahrscheinlich 2014 erscheinen wird, zum Besten gab. Das E-Book wurde besprochen und Zafón äusserte, wenn er Musik höre, gehe es ihm auch nicht um die CD oder einem Stück Plastik, sondern nur um die Musik. Natürlich sei es schön, ein Buch in schöner Ausführung in den Händen zu halten, aber schlussendlich seien die Worte, die Sprache wichtig, ob dann in traditioneller Buchform, auf dem Kindle oder einer anderen technischen Erfindung der Zukunft sei nebensächlich.
Der Autor wurde auf den Spanischen Bürgerkrieg und dessen Verarbeitung angesprochen. Zafón meinte nur: „Wissen Sie, viele Spanier sprechen nicht gerne über diese Zeit. Wie es auch Leute gibt, die nicht gerne über den 2. Weltkrieg reden oder sonst einen Krieg.“ Er wünsche jenen Menschen, die Angehörige oder Freunde im Bürgerkrieg verloren hätten und sich auf Spurensuche begäben, dass sie erfolgreich seien.
Anschliessend setzte sich Zafón an den Tisch, um seine Werke zu signieren. Halbe Bibliotheken schleppten die Leute an. Das Publikum wurde gebeten, den Namen gut leserlich auf ein Blatt Papier zu schreiben, damit nicht lange nachgefragt werden müsse und der Autor die Namen auch richtig schreibe. Und so setzte er schwungvoll die Namen und seine Unterschrift in die mitgebrachten Bücher und nahm sich Zeit, um noch einige Worte mit den Fans zu wechseln.
Vor dem Stadthaus nahm uns wieder dichtes Schneegestöber in Empfang. Im Zunfthaus zur Waage wurde zum Abschluss eine Suppe und Wein offeriert, doch es war so eng und heiss dort, dass wir auf den Imbiss verzichteten und uns müde, aber voller schöner Eindrücke von einem fantastischen Literaturfestival, das noch lange nachklingen wird, auf den Heimweg begaben.