„Zürich liest“ 2012 – Teil III – der Abschluss

Bevor ich mit dem Auto zum Bahnhof fuhr, half mir mein Liebster erst einmal, das Auto unter einer Schneeschicht von zehn Zentimeter zu befreien! Das Thermometer pendelte um den Gefrierpunkt. Mit dem Zug fuhr ich nach Zürich, zur Abschlussveranstaltung des Literaturfestivals „Zürich liest“. Die Stadt lag tief verschneit vor mir. Irgendwie fehlte nur noch die Weihnachtsbeleuchtung, nur etwas passte nicht ganz ins Bild – die Bäume. Die farbigen Blätter schauten noch ein wenig aus dem Weiss und die Äste schienen sich tief zu verneigen.

Als ich mit einer Freundin vor dem Stadthaus ankam, standen schon einige Besucher vor der Tür. Es hätte wohl keiner etwas dagegen gehabt, wenn sich die schwere Tür früher als vorgesehen geöffnet hätte. Das Publikum nahm in den Reihen Platz und einige stellten sich an die Brüstung im ersten Stock.

Wir sichteten ein junges Paar mit Kinderwagen! Das musste definitiv der jüngste Zafón-Fan in der Halle sein! Die Frauen rundherum und auch ich, konnten es nicht richtig glauben, dass man überhaupt Leute mit Baby an eine Lesung liess. Es war dann aber, ausser einem kurzen Weinen, irgendwo aus dem Off, ruhig.

Im rot-blau gestreiften Pullover mit schwarzer runder Brille, trat Carlos Ruiz Zafón auf die Bühne. Bereit stand schwarzglänzend der Flügel.

Die Leiterin des Literaturhauses, Beatrice Stoll, begrüsste das Publikum und den Gast, und erzählte, wie man in der Stadt Zürich nach Schokolade gesucht habe, die einen Drachen als Motiv hat. Zurzeit müssen wieder hauptsächlich Engel als Motiv herhalten, bis Weihnachten dauert es nicht mehr allzu lange. Der Autor, der im chinesischen Sternzeichen des Drachen geboren ist, sammelt diese Wesen seit Jahren. Schlussendlich gab es Schokolade mit dem Tierwappen der Stadt Zürich – dem Löwen – der passe doch auch zum Drachen, wie Frau Stoll meinte.

Das Gespräch führte Res Strehle, Co-Chefredaktor des Tages Anzeigers und bat den Autor schon bald an den Flügel, um eine seiner Kompositionen vorzutragen. Zafón meinte, er sei kein guter Pianist, aber er liebe die Musik. Wir seien sicher nicht hierher gekommen, um ihn Klavier spielen zu hören und wir hätten jetzt noch Zeit, den Raum zu verlassen. Er spielte ein Stück mit dem Titel „Monte Cristo“ passend zu einer Stelle in seinem neuen Buch „Der Gefangene des Himmels“. Seine Musikstücke, passend zu seinen Büchern, kann man sich hier anhören.

Als ihn der Gesprächsleiter fragte, wie er sich für das Schreiben inspiriere, antwortete der Autor: „Wissen Sie, wenn ich auf die Inspiration vom Himmel warten würde, dann hätte ich noch keine einzige Zeile geschrieben.“ Seine Romane entstehen in Barcelona und in Los Angeles, wo er ebenfalls ein Studio hat. Er arbeite viele Stunden, fünf bis sechs Tage die Woche. Ein akzentfreies amerikanisches Englisch, mit einer angenehmen und weichen Stimme, schwingt einem entgegen. Es ist schön, ihm zuzuhören.

Bis er, wie er sagt, am 1. Januar 1990, nur noch als Schriftsteller tätig ist, arbeitete er in der Werbung und verdiente viel Geld. So viel Geld, dass sich sein Vater gefragt habe: „What the hell is he doing? Is he selling drugs?“ Worauf er seinen Vater beruhigen konnte, dass er nichts Illegales tue und keine Drogen verkaufe. Man hätte ihm mehr Geld geboten, dass er weitermache, aber das wollte er nicht. Sein erster Roman landete im Papierkorb, der zweite wurde verlegt und dann ging es los.

Carlos Ruiz Zafón las nur wenig aus seinem neuen Roman in Spanisch vor. Zuvor fragte er ins Publikum, wer denn Spanisch spreche und verstehe. Es flogen einige Hände in die Höhe, nicht zuletzt von spanischen Zuhörern. Dann wehten einem die spanischen Sätze, zwar sanft, aber doch wie ein aufkommender Sturm, entgegen. Da reichen einige Brocken Spanisch dann nicht mehr, um alles zu verstehen. Abhilfe schaffte der Schauspieler Sebastian Arenas, mit peruanischen Wurzeln, der den deutschen Text las.

Ein zweites Mal setzte sich der Autor ans Klavier, um „Isabellas Theme“ und sozusagen einen Trailer, wie er es nannte, für sein nächstes Buch, das wahrscheinlich 2014 erscheinen wird, zum Besten gab. Das E-Book wurde besprochen und Zafón äusserte, wenn er Musik höre, gehe es ihm auch nicht um die CD oder einem Stück Plastik, sondern nur um die Musik. Natürlich sei es schön, ein Buch in schöner Ausführung in den Händen zu halten, aber schlussendlich seien die Worte, die Sprache wichtig, ob dann in traditioneller Buchform, auf dem Kindle oder einer anderen technischen Erfindung der Zukunft sei nebensächlich.

Der Autor wurde auf den Spanischen Bürgerkrieg und dessen Verarbeitung angesprochen. Zafón meinte nur: „Wissen Sie, viele Spanier sprechen nicht gerne über diese Zeit. Wie es auch Leute gibt, die nicht gerne über den 2. Weltkrieg reden oder sonst einen Krieg.“ Er wünsche jenen Menschen, die Angehörige oder Freunde im Bürgerkrieg verloren hätten und sich auf Spurensuche begäben, dass sie erfolgreich seien.

Anschliessend setzte sich Zafón an den Tisch, um seine Werke zu signieren. Halbe Bibliotheken schleppten die Leute an. Das Publikum wurde gebeten, den Namen gut leserlich auf ein Blatt Papier zu schreiben, damit nicht lange nachgefragt werden müsse und der Autor die Namen auch richtig schreibe. Und so setzte er schwungvoll die Namen und seine Unterschrift in die mitgebrachten Bücher und nahm sich Zeit, um noch einige Worte mit den Fans zu wechseln.

Vor dem Stadthaus nahm uns wieder dichtes Schneegestöber in Empfang. Im Zunfthaus zur Waage wurde zum Abschluss eine Suppe und Wein offeriert, doch es war so eng und heiss dort, dass wir auf den Imbiss verzichteten und uns müde, aber voller schöner Eindrücke von einem fantastischen Literaturfestival, das noch lange nachklingen wird, auf den Heimweg begaben.

„Zürich liest“ 2012 – Teil II

Als mich mein Liebster im Auto an den Bahnhof brachte, fiel Schneeregen auf die Windschutzscheibe. Es war saukalt. Na Prost, da konnte ich nur hoffen, dass das Schiff, das mich auf eine literarische Reise mitnehmen sollte, schön beheizt war.

Eine Reisegeschichte

Zuerst musste ich noch im Schreibbüro am Bellevue vorbei, da ich meine Reisegeschichte abholen wollte. Die drei Autoren vom Literaturbüro Olten Eva Seck, Noemi Lerch und Patric Marino sahen ziemlich durchfroren aus. Gut, haben sie im Rücken gleich das Café, wo sie wärmenden Tee oder Kaffee holen konnten. Die Finger auf der mechanischen Schreibmaschine herumturnen zu lassen wäre nicht schlecht gewesen, aber es kamen relativ wenige Leute.

Literaturbüro Olten mit Eva Seck, Patric Marino und Noemi Lerch

Meine Stichworte, die ich am Freitag gegeben hatte, waren

–        Russland
–        Land Rover
–        Lagerfeuer

Als ich die Geschichte las, war ich etwas überrascht. Fahrräder, aber kein Land Rover, kamen in der Geschichte vor. Aufgabe nur zu 2/3 erfüllt. Ich ging nochmals zu „meiner“ Autorin und sie gestand, dass sie den Land Rover vergessen hatte und mir nochmals ein paar Zeilen schreiben könne. So kam ich noch zu einem Land Rover Gedicht, wofür ich freiwillig nochmals etwas springen liess.

Neben dem Schreibbüro war der Stand der Zürcher Verlage, wie Bilger Verlag, Dörlemann, Rotpunkt, Unionsverlag, Salis Verlag und Diogenes u.a.. Alle schön vereint und auch hier mussten sich die Leute mit warmen Getränken aufwärmen, zogen den Kopf zwischen die Schultern und standen von einem Bein auf das andere.

Das Lachen ist ihnen, trotz Kälte, noch nicht vergangen

Im Festivalzelt war es angenehm warm. Ich wollte gar nicht mehr raus. Auch, und vor allem an diesem Tag, fanden literarische Spaziergänge statt. Franz Hohler war in seinem Quartier bereits das erste Mal unterwegs. Wie mir die Dame vom „Zürich liest“-Personal erzählte, seien, trotz der Kälte, viele Interessierte mit dem Autor mitspaziert.

Mit Robert Walser nach Wädenswil

Dann machte ich mich Richtung Schifflände auf, wo ich auf die Panta Rhei wartete, (griechisch für „alles fliesst“), dem jünsten Motorschiff der Zürichsee-Flotte. Keiner der Teilnehmenden hatte eine Ahnung, wie die Schiffsreise ablaufen würde. Wir dachten eigentlich, wir würden direkt nach Wädenswil fahren. Aber nein – wir fuhren mit dem offiziellen Kursschiff die grosse Rundfahrt auf dem Zürichsee, die uns bis hinauf nach Rapperswil, und erst dann nach Wädenswil bringen würde. So kamen wir auf zweieinhalb Stunden Schifffahrt!

Kaum merkbar setzte das Schiff von der Anlegestelle ab. Die Panta Rhei hat Gott sei Dank eine gute Heizung. Im Schiffsbug sassen sechzig Teilnehmer, bereit dem Schauspieler und Regisseur Klaus-Henner Russius zu lauschen, wie er uns aus Robert Walsers Roman „Der Gehülfe“ vorlesen würde. Der grösste Teil der Handlung spielt in der Villa „Zum Abendstern“ in Wädenswil, in der Robert Walser 1903 für mehr als ein halbes Jahr gearbeitet hatte.

Klaus-Henner Russius stellte sich als begnadeter Vorleser heraus und gebannt hing ich an seinen Lippen. Ich kam mir vor wie ein Kind, das Märchen vorgelesen bekommt. Es war faszinierend.

Vor zehn Tagen, bei herrlichstem Wetter, hatte Herr Russius die Fahrt schon einmal absolviert, um eine Idee für die Zeiten seiner Lesung zu bekommen. Es stellte sich dann heraus, dass das Schiff nicht mehr alle damaligen Haltestege anlief und so musste er die Texte etwas kürzen.

Draussen regnete es, die Wolkendecke hing tief und doch war das Ufer immer wieder zu sehen und als das Schloss von Rapperswil in der Ferne auftauchte, war das ein schöner Moment.

Zwischen der Lesung sprach Bernhard Echte, ehemaliger Leiter des Robert Walser-Archivs und heutiger Bewohner der Villa „Zum Abendstern“ zu uns. Er gab uns einige biographische Eckdaten zu Walser und erzählte, wie es überhaupt dazu kam, dass er in der Villa lebt.

Zwischen 1898 und 1905 lebte Robert Walser in Zürich. Er war Bankangestellter. 1902 wurde er arbeitslos und stellte sich schliesslich bei Ingenieur Karl Dubler, der damals, mit Frau und vier Kindern, in der Villa wohnte, vor, um als Schreibhilfe im technischen Büro zu arbeiten. Tatsächlich trat er am 31. Juli 1903 diese Stelle an und bezog das Turmzimmer des Hauses. Auf 80 Quadratmeter Grundfläche wohnten schliesslich acht Personen, nämlich die Familie Dubler, die im Roman Tobler heisst, die Hausangestellte Pauline und Robert Walser, im Roman Joseph Marti.

Die Villa erlebte im Laufe der Jahrzehnte etliche Handänderungen. Zuletzt lebte eine türkische Familie mit ihren vier Kindern darin, die einen Mietvertrag hatte, der monatlich kündbar war. Das Haus sollte abgerissen werden und das Grundstück verdichtet bebaut werden. „Mit solchen Schmuckstücken, wie Sie sie hier überall sehen“, sagte Bernhard Echte. Das Publikum lachte, denn nicht alles, was man hier an Architektur zu sehen bekommt ist reizvoll. Nun, Herr Echte fand es schade, dass das Haus abgerissen werden sollte. Das Robert Walser-Archiv hatte kein Geld, er auch nicht, ausserdem fand es das Archiv zu riskant, dort sein Domizil aufzuschlagen. Das Haus, das einer Erbengemeinschaft gehörte, die sich nicht einigen konnte, war der Auslöser, dass der Besitzer zu Echte meinte „Dann kaufen Sie es halt“. Der ging zu seiner Frau und sprach mit ihr. Das Nebengrundstück wurde gleich mitübernommen. „Sie können mir glauben, ich bin heute höher verschuldet, als damals Karl Dubler“, meinte er.

In Horgen verliess Bernhard Echte das Schiff, um nach Hause zu eilen und seiner Frau bei den Vorbereitungen für den Apéro zu helfen. Wir hingegen lauschten wieder Herrn Russius, der sich immer mal wieder in Fahrtrichtung drehte, um zu checken, wo wir denn gerade waren. „Wir überlegten, ob ich in Fahrtrichtung stehen sollte, um zu lesen. Aber, dann würde es sechzig Teilnehmern schlecht, das wäre nicht gut. So wird nur einem schlecht, dafür opfere ich mich gerne“, sagte er.

In Wädenswil erwartete uns dann Bernhard Echte und wir machten einen Spaziergang dem Ufer entlang. Die Bahnhofunterführung war bereits leicht überflutet. Es war eisig kalt und zügig bewegten wir uns zur Villa „Zum Abendstern“, die ganz einfach zu ihrem Namen gekommen war, weil am anderen Ende der Ortschaft eine Villa „Zum Morgenstern“ existierte. Nur in kleineren Gruppen konnten wir ins Haus. Eigentlich war der Anlass für vierzig Personen konzipiert. Der Präsident des Festivals habe, ohne Wissen von Bernhard Echte, sechzig Tickets verkauft. Wir stiegen ins technische Büro hinunter, wo Walser an einem einfachen Tisch gearbeitet hatte. Faksimile der Patente von Karl Dubler waren zu sehen und Fotos wie die Gegend damals ausgesehen hatte. Wir traten ins Esszimmer, dem damaligen Raum, wo die grosse Familie jeweils zusammen kam. Und hinauf ging es ins Turmzimmer mit der Dachterrasse, von der Walser so geschwärmt hatte. Noch kann man auf den See hinunter sehen.

Ein Teilnehmer wollte dann noch wissen, was denn aus Karl Dubler geworden sei. Nach seinem Konkurs versuchte er noch einmal eine Firma im Bremgarten aufzubauen, kam dann aber wegen Betrug und Urkundenfälschung ins Gefängnis, wo er auch starb. Seine Erfindungen waren kein Erfolg. Die Ehe zerbrach. Robert Walser hatte sich 1925 nochmals mit Dubler in Bern getroffen. Ob Dubler wusste, dass Walser inzwischen ein erfolgreicher Schriftsteller war? „Gerne wäre ich bei diesem Gespräch dabei gewesen“, sagte Bernhard Echte.

Auf dem Grundstück, neben dem Haus, ist der Verlag Nimbus Kunst und Bücher, in einem separaten Kubus, untergebracht. Hier erwartete uns noch ein Glas Wein und Apérogebäck und viele Walser-Bücher und natürlich die Titel aus dem Nimbus Verlag.

Es ist beachtlich, dass Bernhard Echte sich so sehr für den Erhalt dieser Villa „Zum Abendstern“ eingesetzt hat, die eher klein und unscheinbar ist. Ich verneige mich vor diesem Mann, der viel Herzblut in dieses Abenteuer steckt.

Inzwischen schneite es richtig. Jeder trat individuell seine Heimreise mit dem Zug an und für mich war es ein beglückender Nachmittag. Der Roman „Der Gehülfe“, den ich vor einigen Jahren gelesen habe, ist durch den Anlass sehr persönlich geworden. Durch den Vorleser Klaus-Henner Russius, der den wunderbaren Text Walsers, mit einer solchen Hingabe gelesen hat, hat er mir diesen Schweizer Schriftsteller wieder ganz nahe gebracht, so dass ich grosse Lust verspüre, weitere Romane von Robert Walser zu lesen.

„Zürich liest“ 2012 – Die Schweizer Buchpreis Nominierten 2012

Am 11. November 2012 wird an der BuchBasel der Schweizer Buchpreis verliehen. Auf der Shortlist in diesem Jahr stehen Sibylle Berg, Ursula Fricker, Peter von Matt, Thomas Meyer und Alain Claude Sulzer.

Sie alle sollten am Freitagabend im Literaturhaus, anlässlich „Zürich liest“ aus ihren Romanen lesen und der Moderatorin Insa Wilke, Rede und Antwort stehen, über ihr Handwerk, Inspiration etc.

Sollten, denn einer von ihnen fehlte, Peter von Matt. Beatrice Stoll liess uns herzlich von ihm grüssen. Leider konnte er nicht kommen, da er längst, bevor er wusste, dass er auf der Shortlist landen würde, eine Verpflichtung angenommen hatte, die er nicht mehr absagen konnte.

Beatrice Stoll, Alain Claude Sulzer, Sibylle Berg

Sibylle Berg stellte sich als sehr witzige Teilnehmerin heraus und meinte, dass jetzt wohl alle wieder gehen würden, weil sowieso alle wegen Peter von Matt gekommen seien. Als ein Angestellter den Saal verliess, witzelte sie: „Seht ihr, der erste geht schon.“ Allgemeines Gelächter des Publikums. Überhaupt, Literatur ist nicht nur eine ernste Angelegenheit. Mit viel Witz ging es durch den Abend und schlagfertige Antworten kamen von den Autoren, so dass es viel zu lachen gab.

Insa Wilke (links) und Ursula Fricker (rechts)

Insa Wilke stellte nicht immer ganz einfache Fragen, so dass Thomas Meyer einmal meinte: “Müssen Sie so schwierige Fragen stellen?“ Worauf sie erwiderte: „Ich mache nur meine Arbeit. Sie haben ja selbst gesagt, dass Schreiben ein Handwerk sei.“

Thomas Meyer

Alain Claude Sulzer stellte sie unter anderem als Musiker vor, worauf er den Mund verzog und sagte: „Seit mich die Katze vor fünf Jahren ins Bein gebissen hat, mache ich keine Musik mehr.“ Aha, aber trotzdem wird er immer noch mit Musik in Verbindung gebracht.

Und dann kam eine Fragerunde, wie und wo denn geschrieben wird. Sibylle Berg antwortete ganz ernsthaft: „Ich setze mich nackt in die Badewanne und schreibe dort. Soll ich es gleich einmal vormachen?“

Insa Wilke suchte immer wieder Gemeinsamkeiten zwischen den vier Romanen und welchen Mangel die Autoren mit ihrem Roman abdecken wollten. Alain Claude Sulzer sagte darauf trocken: „Es bestand ein Mangel an diesem Buch.“ Und Sibylle Berg will immer noch die Menschen verbessern, alle sollen sich lieb haben und kuscheln. In erster Linie soll es darum gehen, ein Mensch zu sein und nicht ob einer männlich oder weiblich sei. Man stelle sich am Morgen auch nicht vor den Spiegel und sage sich beim Kämmen: „heute bin ich aber weiblich“.

Dann lasen alle aus ihren Romanen vor. Für den abwesenden Peter von Matt übernahm Beatrice Stoll, die Leiterin des Literaturhauses, diese Aufgabe gleich am Anfang des Abends. Jedes Buch ist anders, jeder der Autoren hätte es verdient, den Buchpreis zu gewinnen. Alain Claude Sulzer, der auch in der Jury beim Ingeborg Bachmann-Preis, in Klagenfurt, sass, sitzt jetzt als Autor auf der anderen Seite.

Der Abend hatte grossen Unterhaltungsfaktor und es war schön zu sehen, dass unter dem Publikum nicht nur ältere Personen und nur Frauen sassen – es waren auch jüngere Menschen und Männer auszumachen.

Anschliessend wurde ein Apéro serviert und es bestand die Möglichkeit, sich mit den Autoren zu unterhalten und ich lief in der Gegend herum, um mir die Bücher signieren zu lassen, denn die Schriftsteller/innen sassen nicht an einem gemeinsamen Tisch. Thomas Meyer sagte ich, dass ich mich auf sein Buch freue und er meinte „ich mich auch“. Verständlich, es ist sein erster Roman „Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse“ und gleich auf der Shortlist. Das Buch ist speziell, da viele jiddische Ausdrücke vorkommen und irgendwann, während dem Schreiben hätte er nicht mehr unter Kontrolle gehabt, was sein Buch mit ihm anstelle. Das Buch habe die Kontrolle über ihn gehabt.

Ursula Fricker hatte den Daumen einbandagiert, deshalb fragte ich sie, neugierig wie ich bin, was denn passiert sei. Beim Späne machen, für den Holzofen, hackte sie sich in den Daumen. Autsch! Aber das abgespaltete Daumenstück konnte wieder angenäht werden. Die Bandage hindert sie nicht am Schreiben.

Voller wunderbarer Eindrücke kehrte ich, nach einem vollbepackten literarischen Freitag, nach Hause zurück.

„Zürich liest“ 2012 – Teil I

Gestern startete das viertägige Literaturfestival „Zürich liest“ 2012. Heute war ich erstmals an zwei Veranstaltungen dabei. Ich habe mir extra frei genommen, denn das Lunchkino, wie es der Name schon sagt, beginnt kurz nach Mittag. Auf dem Programm stand der Film „Death of a Superhero“, nach dem gleichnamigen Roman von Anthony McCarten.

Bereits als ich mein Ticket abholte entdeckte ich schon einen Autor, nicht Anthony McCarten, aber Jan-Philipp Sendker, dessen neuer Roman „Herzenstimmen“ auf dem Markt ist.

Noch hatte ich Zeit und schlenderte in der Gegend herum, die Flaggen des Literaturfestivals flatterten noch etwas zaghaft, das Festival war noch nicht so richtig in Gang, aber das wird sich noch ändern.

Und dann ging ich zurück ins Kino, der Vorhang wurde geöffnet und bald sass Anthony McCarten und die Moderatorin Monika Schärer sieben Sitze neben mir und dachten wohl, dass ich nicht ganz gewickelt war, in der vordersten Reihe zu sitzen, wo man sich einen steifen Hals holt und prompt sprachen sie mich deswegen auch an. Den Platzanweiser fragte ich noch vor der Vorstellung, ob das Haus ausverkauft sei. Er schüttelte den Kopf, also zog ich einige Reihen nach hinten. Eine kurze Einführung, sehr sympathisch sprach der Autor einige Worte deutsch, bevor er wieder ins Englische wechselte. Das Drehbuch hat er natürlich selber geschrieben und musste dafür seinen Roman komplett demontieren. Denn was für den Roman richtig war, passte für den Film nicht mehr.

In „Death of a superhero“ geht es um einen krebskranken Jungen, dessen ganze Leidenschaft das Zeichnen von Cartoons ist und dies äusserst brilliant. Anthony McCarten hat einen sehr persönlichen Bezug zu Krebs, denn seine Eltern – Vater und Mutter – sind an Krebs gestorben und wurden zuvor mehrere Monate zu Hause gepflegt. Er sagte selbst, dass er beim Schreiben geweint habe, denn dabei dachte er unweigerlich auch an seine drei Söhne. Auf den Plot für „Superhero“ ist er durch einen Zeitungsartikel gestossen: ein Psychiater hat für seinen vierzehnjährigen Patienten eine Prostituierte gesucht. Der Psychiater spielt denn auch im Film eine wichtige Rolle.

Dann wurde der Film gezeigt. Ich konnte den Streifen völlig unbelastet anschauen, denn ich habe „Superhero“, wie der Roman schlicht auf Deutsch heisst, noch nicht gelesen. Es gab witzige Szenen, man darf nicht vergessen, dass Anthony McCarten ja auch der Verfasser des Drehbuches zu Full Monty war, das zuerst als Theaterstück „Ladies night“ Erfolg hatte. Bei jenem Film konnte man Tränen lachen.

Zurück zu diesem Film, bei dem Lachen und Tränen nah beieinander liegen. Ich konnte mir die Tränen auch nicht verkneifen, Krebstod geht einem nahe, erst recht, wenn der Kranke ein Teenager ist, der noch gar nicht richtig gelebt hat.

Nach der Filmvorführung gab der Autor ehrlich zu, dass ihn der Film auch zu Tränen gerührt habe.

Er stand nun noch Rede und Antwort zu seinem neuen Buch „Ganz normale Helden“, das gar nicht als Fortsetzung zu „Superhero“ gedacht war. Er hatte vor, einen Roman über einen Vater zu schreiben, der seinen Sohn im Internet sucht. Dazu brauchte er einen Vater, eine Mutter und einen Sohn. Da er etwas langsam im Denken sei, sei ihm erst nach einiger Zeit in den Sinn gekommen, dass er ja eigentlich diese Personen, nämlich die Eltern Delpe und den älteren Sohn Jeff, bereits hatte und diese seit dem Ende von „Superhero“ arbeitslos geworden seien.

Er erzählte, wie er sich mit Online-Games beschäftigte und sich in einem Spiel, das seine Söhne spielten,  übte, denn zuvor hatte er genau so wenig Ahnung von Internet-Games, wie sein Protagonist John Delpe.

Er las dann noch eine Passage eines Gesprächs zwischen dem Avatar AGI und Merchant of Menace und schon war es Zeit, den Kinosaal zu verlassen, denn bald stand die nächste Vorstellung auf dem Plan. Beim Verlassen des Saals sprach ich Anthony McCarten an und erzählte ihm, dass ich seinen neuen Roman bereits gelesen habe und nun gerne auch noch „Superhero“ lesen werde. Als er mein Arbeitsexemplar sah, fragte er mich, ob ich Buchhändlerin sei. Ich erklärte ihm, dass ich blogge. Der Mann nahm sich für seine Leser Zeit, gab jedem die Hand. Er signierte die Bücher freihändig, sprach mit jedem ein paar Worte und verabschiedete sich beim vorwiegend weiblichen Publikum (Männer waren nicht viele auszumachen) auch wieder mit Handschlag.

Als er dann noch einen speziellen Eintrag in mein Buch schrieb, erklärte er noch, dass ihm ein 17-jähriges Mädchen in München gesagt habe, dass er ein Schleimer sei. Die Umstehenden lachten herzlich. Und ob Schleimer oder nicht, habe ich mich über seinen Eintrag natürlich sehr gefreut. Und wenn Schleimer, dann ein sehr charmanter und witziger, der mir als sympathischer Autor in Erinnerung bleiben wird.

Die Literaturreise ging weiter. Die Schriftsteller fielen mir fast vor die Füsse. Ich fotografierte gerade einen Baum, der mit seinem gelben Laub aus dem tristen Grau herausstach, da kam mir der Schriftsteller von „Keller fehlt ein Wort“ und „Polarrot“, Patrick Tschan, mit der Tochter seines Verlegers, entgegen. Ich war mir im ersten Moment nicht sicher, hörte dann seinen Basler Dialekt und dann wusste ich, dass ich mich nicht geirrt hatte.

Nachdem ich mich gestärkt hatte, besuchte ich in der Buchhandlung Bodmer die Galerie „Zum Granatapfel“ im ersten Stock, wo Künstlerinnen des Internationalen Lyceumclubs Zürich ein giftgrünes Buch mit 120 Bildern unter dem Namen „Mille Feuilles“ zusammengetragen haben. Der Ursprungsgedanke war, „prägt das Buch die Gesellschaft oder prägt die Gesellschaft das Buch“. Am liebsten hätte ich das Meisterwerk gleich eingepackt.

Über den Abend werde ich morgen berichten. Es war ein langer und spannender Tag, der mich, wie letztes Jahr schon, müde aber begeistert und voller toller Erlebnisse ins Bett sinken lässt.