Paul Auster zu Besuch in Zürich

Das Literatur-Festival „Zürich liest“ 2014 ist bereits wieder Geschichte. Bereits am Freitagabend durften die Besucher des Festivals ein erstes Highlight der Literatur geniessen. Paul Auster, der bereits wieder mitten in einem neuen Romanprojekt steckt, nahm sich trotzdem die Zeit, und beehrte Zürich mit einem Besuch. Er musste ein Versprechen einlösen, dem er mit seinem Auftritt nachkam, was seine Fans natürlich freute.

An erhöhter Lage, nämlich im Theater Rigiblick, einem Ort über den Dächern von Zürich und mit Blick über die Stadt und in die Berge, fand die Lesung mit anschliessendem Gespräch statt. Elisabeth Bronfen, Professorin für Anglistik und Lehrstuhlinhaberin am Englischen Seminar der Universität Zürich, machte eine Einführung zu einigen Orten, an denen Paul Auster gelebt hat und fand es aufregend neben einem ihrer bevorzugten Autoren zu sitzen. Sie meinte, dass sie die Einzige sei, die ihm heute Abend Fragen stellen könne „we don’t take questions from the audience!“. Bevor Paul Auster die Lesung begann, betonte er jedoch, wenn er Bücher signiere werde er sehr wohl mit dem Publikum sprechen.

Paul Auster

Eigentlich war gemäss Programm vorgesehen, dass er aus einem unveröffentlichten Werk lesen sollte. Da Paul Auster dachte, dass die Veranstaltung zweisprachig durchgeführt würde und der Text ja noch nicht ins Deutsche übersetzt sei, lasse er das Manuskript zuhause. Wenn es einfach gewesen wäre, wäre Auster schnell nach Brooklyn gedüst und in zehn Minuten wieder mit seinem Text zurückgekehrt, wie er meinte. So las er denn aus seinem autobiographischen Werk „Winterjournal“ und aus den „Gesammelten Erzählungen“ den Text „White Spaces“, der im Jahr 1978 entstanden ist.

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Nach der Lesung stellte er sich den Fragen von Elisabeth Bronfen, die ziemlich aufgekratzt wirkte. Die Moderatorin wollte wissen, ob er sagen könne, woran er im Moment arbeite. Nach fünf autobiographischen Werken sitzt Paul Auster wieder an einem Roman, an dem er schon seit eineinhalb Jahren dran ist und es vielleicht noch könne noch weitere zweieinhalb Jahre dauern. Eigentlich seien es vier Bücher in einem. Es soll die Geschichte eines Mannes und seiner Familie erzählen. Der Mann ist jetzt gerade in der High-School und er habe schon fünfhundert Seiten geschrieben. Ob das ein Dreitausend-Seiten Roman geben werde, wollte Bronfen wissen. Nein, nein, vielleicht tausendeinhundert Seiten, meinte Auster. Er habe noch keine Ahnung, wohin ihn die Reise beim Schreiben führen werde. Es sei ein Abenteuer, jeder Tag bringe etwas Neues.

Paul Auster schreibt nach wie vor seine Texte alle von Hand. Im Zeitalter von Computer scheint das eher ungewöhnlich, für ihn ist dies jedoch ganz normal, schliesslich habe jeder von uns einmal angefangen, mit Feder und Bleistift zu schreiben. Seit er ein Teenager von fünfzehn Jahren war und mit Schreiben begann, keine Schreibmaschine zur Verfügung stand, schrieb er von Hand und es füllte sich gut an. Mit einem Keyboard komme er nicht zurecht. Für ihn sind die Hand, die einen Stift führt und das Hirn eng miteinander verbunden. Es sei ein schönes Gefühl zu sehen, wie sich die Buchstaben ins Papier eingraphieren würden. Danach hackt er die Texte noch in seine Schreibmaschine. Jemand tippt dann das Geschriebene für den Verlag noch am Computer. Bronfen wollte ihm unterstellen, dass er im Zweifingersystem schreibe. Da widersprach er vehement,  denn er hat schon an der Junior High-School einen Schreibmaschinenkurs belegt, das sei das Beste gewesen, das er gelernt habe. Es sei doch eigentlich völlig egal, ob ein Text handschriftlich verfasst werde oder am Computer, wichtig sei bloss, dass es funktioniere.

Dann die Frage, wie er zu den Themen für seine Bücher komme. Es fange plötzlich etwas zu Summen in seinem Kopf und er wisse noch nicht was es sei. Dann höre er plötzlich diese Musik, die Musik eines Buches. Das seien weniger gewisse Situationen, als eher Charaktere, die entstehen würden. Irgendwann beginne er zu schreiben und manchmal rufe ihm ein Charakter zu „Gib mir ein Leben, bring mich zu Papier, ich möchte atmen“.

Er erzählt von seiner Liebe zum Film, gibt auch die eine oder andere Anekdote zum Besten, wofür er Lacher erntet, schneidet kurz die Politik und die Wirtschaft Amerikas an, die so sehr mit der Europas gekoppelt ist und nicht alles so läuft, wie es sollte. Ein interessanter und unterhaltsamer Abend mit Paul Auster geht mit der Signierung seiner Bücher – und es sollen doch bitte nicht mehr als fünf Bücher zum Signieren vorgelegt werden – nach fast eineinhalb Stunden zu Ende. Ich gebe mich deshalb mit zwei signierten Büchern zufrieden 😉

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Zu Besuch beim Dörlemann Verlag

Zum Anlass des diesjährigen Literaturfestivals „Zürich liest“ öffnete der Dörlemann Verlag seine Türen und „lädt Freunde und Leser zu Kaffee und Guetzli und einem Blick in sein persönliches kleines Bücherparadies ein. Die Dörlefrauen freuen sich auf Ihren Besuch.“, wie es im Programm hiess.

Nur eine Tramstation vom See entfernt, im obersten Stockwerk eines alten Gebäudes, finden sich die Räumlichkeiten des kleinen, aber feinen Verlages.

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Wir stiegen die Treppen empor und waren schon ausser Atem, als wir im fünften Stock ankamen. Wir drückten die Klingel und eine Verlagsangestellte öffnete uns mit einem Lächeln die Tür und liess uns eintreten.

Ab 14.00 Uhr konnte der Verlag besucht werden und ich hätte nicht gedacht, dass das Lesezimmer schon bald zu eng für die Besucher werden würde und zu meiner Freude waren nicht nur weibliche Leser vertreten, sondern auch männliche.

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Wir wurden ins Lesezimmer geführt, wo auf dem langen Tisch bereits Gebäck, Wasserkaraffe und Gläser bereitstehen und eine kleine Auswahl an Büchern zu vergünstigtem Preis. Im Regal stehen alle Titel alphabetisch aufgereiht, in denen die Besucher blättern und lesen dürfen und natürlich kommt es ziemlich schnell auch zum Kauf.

Dörlemann_7Die Volontärin, die eineinhalb Jahre hier arbeiten kann, erzählte uns Einiges über den Verlag, der 2003 von Sabine Dörlemann gegründet wurde. Angefangen hat alles mit dem russischen Schriftsteller Ivan Bunin, der 1933 als erster Autor Russlands den Literatur-Nobelpreis erhielt. Das schmale Bändchen mit der Erzählung „Ein unbekannter Freund“ wurde zu einem grossen Erfolg und landete auf den deutschen Bestseller-Listen, so dass weitere Werke von Bunin folgten, die teils zuvor noch nicht ins Deutsche übersetzt worden waren. So liegt ein Schwerpunkt des Verlages auf russischer Literatur und immer wieder werden auch vergessene Literaturperlen wiederentdeckt, so diesen Herbst „Das verlorene Wochenende“ von Charles Jackson.

Alle diese Klassiker sind in schönes Leinen gebunden, mit einem Lesebändchen versehen und auch der Vorsatz kann sich sehen lassen. Es macht Freude, diese Bücher in die Hand zu nehmen und noch mehr, sie zu lesen.

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Inzwischen werden auch junge, deutschsprachige Autoren verlegt und auch hier scheint der Dörlemann Verlag ein goldenes Händchen zu haben, waren doch gleich zwei Autoren für den „Schweizer Buchpreis“ 2013 nominiert, nämlich Henriette Vásárhelyi mit „immeer“ und Jens Steiner mit „Carambole“, der den Preis schliesslich auch gewonnen hat.

Dörlemann_2Wer würde vermuten, dass in dieser 5-Zimmerwohnung ein so schönes und wie es scheint auch erfolgreiches Verlagsprogramm entsteht!

Übrigens, der Verlag öffnet auch nach dem Literaturfestival einige Male seine Tür, nämlich am 31.10. / 7.11. / 14.11. / 21.11. / 28.11.2014. Wer in der Nähe ist und Zeit hat, sollte mal einen Blick riskieren, vielleicht ist ja auch einmal die Verlegerin selbst anwesend, was leider bei unserem Besuch nicht der Fall war.

Zürich liest (Teil III)

Ich sag nur eines, mammamia, war das ein Tag!!

Es soll mal einer sagen, dass Literatur kein Sport sei und nicht fit hält. Was ich heute in der Stadt rumgesprintet bin, uffa, da war ich froh, zwischendurch ins Tram sitzen zu können, um mich durch die Stadt schaukeln zu lassen. Aber nun mal ganz schön der Reihe nach.

„Zürich liest“ hält 140 Veranstaltungen bereit, von Donnerstag bis Sonntag. Mir reichen definitiv Freitag und Samstag. Samstag war ich jetzt gerade mal zwölf Stunden unterwegs. Ich bin so schweissnass, wie nach dem Sport, es war ein Marathon.

Unterwegs im Zug nach Zürich war ich noch am Überlegen, ob ich am Stadtrundgang mitmachen sollte oder nicht. Es war 10 Uhr 50, als ich Richtung Bellevue, das liegt direkt am See, trabte und schliesslich einen schnelleren Gang einlegte. Ich wollte definitiv dabei sein.

Die Festival-Fahnen flattern vor dem Opernhaus

Das Motto lautete: „In Zürich möchte ich wohl leben“ auf den Spuren von Schriftstellern durch Zürichs Altstadt

Zahlreich haben sich die Literatur-Spaziergänger am Treffpunkt eingefunden und Martin Dreyfus erwies sich als sehr kompetenter Führer an die literarischen Orte.

Martin Dreyfus auf dem Fenstersims des Dada-Hauses

Da wurden Begebenheiten von Schriftstellern, die in Zürich lebten oder für die Zürich nur Durchgangsstation war, beschrieben, durch Zitate, Aufzeichnungen und Gedichte. So kamen wir an Orten vorbei, wo Elias Canetti, Stefan Zweig, Else Lasker-Schüler, Paul Celan, James Joyce und viele mehr gelebt und gewirkt haben. Ausnahmen bildeten der einheimische Hugo Lötscher und auch Gottfried Keller. In zwei Stunden erfuhren wir Spannendes und Lustiges, aus einer Zeit, die längst der Vergangenheit angehört und nie mehr so glanzvoll sein wird. Etliche Bauten gibt es heute nicht mehr, sie mussten grässlichen Betonklötzen weichen oder, wie das leider üblich ist, eine Buchhandlung wurde zum Kleider- oder einem Irgendwas-Shop. Ursprünglich wie damals steht das Hotel Hirschen noch da, wo anfangs der 1930er-Jahre Erika Mann mit der „Pfeffermühle“ anfing, Theater aufzuführen, mit dabei war die grossartige Therese Giehse.

Hotel Hirschen, Wirkstätte von Erika Manns Pfeffermühle

Wir standen vor dem einzigartigen Literatur- und Künstlercafé Odeon, das heute auf die Hälfte der Fläche geschrumpft ist, weil nebenan eine Apotheke eingezogen ist, wo sich Kafka, Joyce, Tucholsky und andere Berühmtheiten die Klinke in die Hand gaben.

Das ehemalige Hotel Schwert, wo unter anderem Goethe wohnte, durfte auch nicht fehlen, gleich daneben im Hotel Storchen residierte Nelly Sachs, für die Paul Celan extra nach Zürich gereist war und so das Gedicht zum Hotel Storchen entstand.

das ehemalige Hotel Schwert

Nur einen Katzensprung entfernt wohnte Marthe Kauer, die Leiterin der Volkshaus-buchhandlung, die selbst einen Berthold Brecht in die „Katakombe“ (der Treff für Lesungen zwischen den Bücherregalen der Buchhandlung) zu einem Auftritt überreden konnte. Lenin, der mit seiner Frau in einem Zimmer logierte, das damals schon eine kleine EU war, weil so viele Nationen in ein und derselben Wohnung eingemietet waren.

dazu gibt es nichts zu sagen

Sehr amüsant war die Schilderung über Ricarda Huch, die damals als Frau in Deutschland noch nicht studieren durfte und deswegen in die Schweiz an die Uni kam. Sie war am Anfang Gast im ehemaligen Hotel Bellevue. Sie sass im Restaurant, zwei Herren daneben unterhielten sich in einer Sprache, die sie als keine westeuropäische Sprache erkannte. Slawisch war es aber ebenso wenig, vielleicht Usbekisch, Turkmenisch? Am Schluss stellte sich heraus, dass die beiden Männer ganz einfach Zürichdeutsch gesprochen hatten, von dem die Dame kein Wort verstanden hatte, was sich später allerdings änderte.

das ehemalige Hotel Bellevue

Es war zwar kalt, aber durch den zackigen Gang unseres Literaturführers kam man gar nicht zum Frieren. Der Rundgang war wundervoll und und hochinteressant. Man lernt seine Stadt aus ganz anderen Blickwinkeln kennen.

Eines muss vielleicht auch noch gesagt werden: die beiden Weltkriege sind schuld, dass etliche Literaten überhaupt in unser Land gekommen sind. Sie haben die Stadt Zürich, auch wenn sich die Einen nur kurze Zeit hier aufhielten, durch ihren Aufenthalt, sehr bereichert.

Walter Mehring (aus den Unterlagen von Martin Dreyfus)

Um zwei Uhr wollte ich an einer Lesung teilnehmen, die ebenfalls speziell war, denn sie wurde im Tram durchgeführt. Ab 11. Dezember fährt die Linie 4 eine andere und teilweise komplett neue Route. Wie lange diese in Bau war, weiss ich schon gar nicht mehr, sicher zwei Jahre oder länger. Wir hatten also das Vergnügen, 50 Minuten auf der neuen Strecke durch die Stadt zu fahren und Endo Anaconda beim Lesen, aus seinem zweiten Buch seiner Kolummnen „Walterfahren“ zuzuhören. Walter ist der Name seines über zwanzig Jahre alten und verrosteten Autos. Anaconda ist der Sänger der Berner Band „Stiller Has“ und ein Unikum für sich. Ich sag nur eines: es war zum Schreien:)

Endo Anaconda mit seiner Verlegerin

Ach ja, hier muss ich noch erwähnen, als ich mich am Bücherstand erkundigt habe, wo ich Tickets für die Fahrt kaufen könne, da meinte die nette Dame, sie hätte noch Gratis-Tickets und schenke mir die Karte 🙂

Endo Anaconda

Dann war da noch die Truppe von „Index“, ein Künstler-Kollektiv, junge Autoren von Romanen, Theaterstücken und Kunstaktionen. Diese hatten am Bellevue ein Schreibbüro eingerichtet, wo man gegen ein kleines Entgelt, eine Geschichte bestellen konnte, egal ob man einen Liebesbrief, einen Witz, eine Weihnachts-, Familien- oder Pornogeschichte (dies ist kein Witz, stand so da) wünschte. Worte, Namen, Handlungsorte konnte man, wenn man wollte, vorgeben.

Einer der Schreiber hackte die Geschichte in 30 bis 45 Minuten in seine mechanische Schreibmaschine.

Index-Autoren beim Geschichten schreiben

Ich machte also meine Lesungsfahrt, wo sich endlich meine Füsse ausruhen konnten und holte meine Geschichte nachher ab. Inzwischen waren die Leute völlig überlastet und kamen mit Schreiben kaum noch nach.

"Mein" Autor Kurt Shortfart macht sich erste Notizen

Meine Stichworte waren Weihnachtsgeschichte, Alphütte und die Vornamen von meinem Liebsten und mir. Ich war ja so gespannt.

Als ich das Blatt in den Händen hielt, habe ich sicher gestrahlt wie tausend Sonnen. Wer kann schon eine Weihnachtsgeschichte sein Eigen nennen, die extra für ihn geschrieben wurde?

Das Papier hatte viele kleine Löcher, von all den Os des Hämmerchens, das längst seine Schuldigkeit getan hat. Ich war begeistert. Mir schien, als würde mich der Autor kennen, so treffend hat er die Geschichte verfasst, die den Titel „Die Kerze“ trägt. An Weihnachten werde ich diese kleine Geschichte meiner Familie vorlesen.

Jetzt hatte ich etwas Zeit, um es gemächlich anzugehen. Ich schlenderte über die Bellevuebrücke, quer durch den Flohmarkt zur Bahnhofstrasse und genehmigte mir zwischendurch eine kleine Verpflegung. Der nächste Gang führte mich in die Buchhandlung von Orell Füssli, wo ich plötzlich die Musik einer Handharmonika hörte. Da sass eine Musikerin in der Abteilung für fremdsprachige Literatur und spielte so wunderschöne und melancholische Lieder, ich wähnte mich mitten in Paris, woher die Dame, deren Namen ich nicht kenne, auch stammt.

Klänge aus Paris

Dazwischen lass sie aus dem Buch von Dominique de Rivaz „La Poussette“ (der Kinderwagen) und ich hörte ihr gerne zu, weil ich die französische Sprache so liebe. Eigentlich hätte die Autorin selber lesen sollen, sie war jedoch aus familiären Gründen verhindert.

Jetzt dauerte es nicht mehr lange und der nächste Höhepunkt sollte meinen literarischen Tag beschliessen. Ich hatte mich mit einer Freundin für die „Lesung“ von Rafik Schami verabredet.

Die Lesung ist bei ihm freies Erzählen. Der Saal war komplett ausverkauft (für zwei Veranstaltungen!). Da kam dieser überaus sympathische Mann auf die Bühne und wir hörten ihm zu und hörten ihm zu und ….. Rafik Schami fragte immer mal wieder: „Soll ich noch eine Geschichte erzählen? Soll ich das überspringen?“ Wie kleine Kinder, die am Boden vor der Märchentante sitzen, riefen wir: „nein, bitte weiter“. Der Mann ist unglaublich, steht da mitten auf der Bühne, lässt auch seine Hände reden und gibt eine Geschichte nach der anderen aus seinem neuen Buch „Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte“ zum Besten.

Rafik Schami

Wir hätten ihm noch lange zuhören können, aber irgendwann musste leider Schluss sein. Eine Zuhörerin rief ihm auf Arabisch zu:“Ich wünsche Ihnen eine gute Zunge“, worauf er ihr ebenfalls eine „gute Zunge“ wünschte. Dann stand noch Signieren seiner Bücher auf dem Programm, danach musste er den Nachtzug nach Bremen erreichen, wo ihm der mit 7500 Euro dotierte Preis  „Gegen Vergessen – für Demokratie“ verliehen wird.

Er lobte das neue viertägige „Zürich liest“-Festival und versprach nächstes Jahr wieder zu kommen. Nicht nur ich, wir alle nehmen ihn beim Wort, denn er war grossartig, er ist ein wahrer Erzähler, der locker mehrere Stunden als Alleinunterhalter bestreiten kann. Es wird keine Sekunde langweilig. Am Anfang verlangte er mehr Licht, damit die Zuschauer auf der Galerie nicht einschlafen würden. Dazu bestand keinen Augenblick Gefahr.

So, nun reicht es für eine Weile. Ich könnte noch viel erzählen, denn ich bin voll von tollen Eindrücken, von Begegnungen mit netten Menschen und auch der Herbst zeigte sich noch einmal von seiner besten Seite. Es war spannend und ich bin überzeugt, dass das Festival eine gute Bilanz ziehen kann. Ich auf jeden Fall bin begeistert 😀

Zürich liest (Teil II)

Endlich ist es soweit. Das Literaturfestival hat begonnen und ich hab mich frühzeitig in die Stadt aufgemacht, denn heute sollte die Lesung mit dem Literatur-Nobelpreisträger von 2003, J. M. Coetzee stattfinden.

Es ist schon eine besondere Ehre, die der Autor dem Festival erweist. Denn 1. gibt der Mann äusserst selten Interviews und 2. ist es die einzige Lesung in Europa überhaupt. Coetzee gibt ganz selten Interviews, eines war am Freitag in der NZZ abgedruckt. Leider kann ich nicht zur Zeitung verlinken, denn bei dieser Zeitung kostet fast jeder Beitrag etwas und ist deshalb schon nicht mehr online lesbar. Aber was mich sehr freut, dass der Autor in der „New York Review of Books“ ein Essay über den Schweizer Schriftsteller Robert Walser geschrieben hat.  Der Termin ist relativ kurzfristig eingeschoben worden, denn er war nicht geplant. Sicher deshalb auch der ungewöhnliche Ort für die Lesung, das Stadthaus von Zürich. Die Veranstaltung war bis auf den letzten Platz ausverkauft.

Zuerst machte ich mich aber Richtung Anlaufstation zu „Zürich liest“ auf, wo Programme auflagen und Bücher, von diversen Verlagen vorgestellt wurden.

Hier eine der jüngsten „Leserinnen“, die argwöhnisch das Lesezeichen oder vielmehr den Karton betrachtet.

Auch Musiker scheinen sich für Literatur zu interessieren.

Da die Temperatur angenehm mild war, war es auch kein Problem, längere Zeit vor dem Stadthaus zu warten.

Da kam einer extra vom Bodensee angereist, um noch einen Stehplatz zu ergattern, den hatte er sich anscheinend per E-Mail erworben. Nur war der Ärmste nicht auf der Liste und zog unverrichteter Dinge wieder von dannen. Schade, hätte er nur ein paar Minuten gewartet, dann hätte er von einer Dame ein Ticket erwerben können.

Dann war da noch so ein unmöglicher Zeitgenosse, der der Kartenverkäuferin das Leben mit stupiden Bemerkungen schwer machen wollte. Hat sich verärgert zurückgezogen, stand dann schlussendlich doch in der Halle und hat sich hoffentlich wieder abgeregt.

Das Plakat wurde schon einmal vor die Tür gestellt, aber immer noch mussten wir uns etwas gedulden.

Dann wurden wir eingelassen. Die Einen kauften noch schnell ein Buch, damit der Autor auch etwas zum Signieren hat, sonst würde ihm vielleicht langweilig werden 😉

Die Leiterin des Literaturhauses begrüsste die Gäste und wies auch gleich darauf hin, dass Coetzee keine Fragen zu seinem Werk beantworten würde. Die Dame war so auf den Autor fixiert, dass sie die Erzählung, die Coetzee uns vorlesen würde mit „The old man and the cats“ statt „The old woman and the cats“ ankündigte, sie hat sich dann hastig korrigiert.

Anschliessend sprach Guido Kalberer, Redaktor beim „Tages Anzeiger“, die Einleitung und gab einige Eckdaten zu J.M. Coetzee bekannt. Unter anderem erfuhren wir, dass der Autor seit einigen Jahren in Adelaide, Australien, lebt, und sogar australischer Staatsbürger geworden ist.

Schliesslich trat John M. Coetzee vor das Publikum. Sehr sympathisch war, dass er die einleitenden Worte zu seiner Erzählung auf Deutsch sprach. Mit einer sehr angenehmen und sanften Stimme trug er seine unveröffentlichte Geschichte in Englisch vor. Es hat irgendwie inspiriert, wieder einmal einen Text in englischer Sprache zu lesen. Es ist doch ein Unterschied, ob man eine Übersetzung oder das Original vor sich hat, gerade bei Coetzee, der sehr ausgewählte Worte benutzt.

Mir hat die Geschichte über die alte Frau mit ihren Katzen sehr gefallen. Es ging darum, dass der Sohn aus Amerika seine Mutter besucht, weil er sie ins Altersheim bringen will. Er ist sehr erstaunt, dass sie sicher ein Dutzend halbwilder Katzen in ihrem Haus hat. Die Katzen nahm die alte Dame bei sich auf, weil die Besitzer die Tiere zurückgelassen hatten, als sie aus dem Dorf wegzogen. Auch ein älterer Mann namens Pablo lebt bei der Mutter. Auf diesen müsse sie ebenfalls aufpassen, da er eine schwere Zeit hinter sich habe. Der Sohn führt nun ziemlich philosophische Gespräche mit seiner Mutter, ob die Tiere Gesichter und Seelen haben oder nicht. Auch wie es gewesen wäre, wenn seine Mutter einen Haufen Kinder gehabt hätte oder eben nur ihn und seine Schwester. Wie die Menge der Kinder sein späteres Leben beeinflusst hätte usw. Zwischendurch kamen durchaus witzige Passagen vor, so dass hin und wieder gelacht werden konnte.

Es war auf alle Fälle eine Geschichte, die zum Nachdenken anregt.

Die Signierstunde durfte anschliessend nicht fehlen. Unglaublich, was die Leute alles anschleppen! Die halbe Bibliothek haben die einen zu Hause ausgeräumt und gleich ein halbes Dutzend Bücher signieren lassen. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass man zügig am Tisch von J.M. Coetzee vorbeigehen solle, damit er nicht bis in die Morgenstunden unterschreiben müsse.

Danach wurde ein Apéro mit Wein, Mineral und einer Suppe offeriert. Das war eine sehr schöne Überraschung. Im wunderschönen Kreuzgang, zwischen dem Stadthaus und dem Fraumünster gelegen, konnten wir die ersten Eindrücke vom Abend diskutieren und geniessen.

Und so sieht die Unterschrift dieses zurückhaltenden und sympathischen Autors aus:

Mein erster Abend war schon ein absolutes Highlight. Auf meinem zwanzig-minütigen Fussmarsch nach Hause, konnte ich den Abend schon ein erstes Mal zufrieden Revue passieren lassen.

Morgen Samstag geht es weiter.

Zürich liest (Teil I)

Vom 27. bis 30.10.2011 steht in Zürich ein Marathon-Wochenende für alle Bücherfans an „Zürich liest“. Früher hiess der Event „Lange Nacht der kurzen Geschichten“ und dauerte wirklich nur einen Abend und eine Nacht lang. An diversen Orten in und um Zürich, sei das in einem Museum, einer Buchhandlung, im Schauspielhaus oder einer Fabrikhalle, ja selbst im Tram finden Lesungen statt. Es gibt Stadtrundgänge an Orte, wo Schriftsteller einst lebten oder sich nur vorübergehend aufhielten und dazu werden Passagen aus deren Bücher vorgelesen.

Ich habe mich für zwei Veranstaltungen angemeldet, nämlich für die Lesung von Rafik Schami «Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte» und was mich ganz besonders freut, soeben habe ich Karten erstanden für die einzige Lesung in Europa dieses Jahres, des Literatur-Nobelpreisträgers 2003 aus Südafrika, J.M. Coetzee. Ich bin sehr gespannt und ich werde sicher darüber berichten.