„Zürich liest“ 2012 – Teil I

Gestern startete das viertägige Literaturfestival „Zürich liest“ 2012. Heute war ich erstmals an zwei Veranstaltungen dabei. Ich habe mir extra frei genommen, denn das Lunchkino, wie es der Name schon sagt, beginnt kurz nach Mittag. Auf dem Programm stand der Film „Death of a Superhero“, nach dem gleichnamigen Roman von Anthony McCarten.

Bereits als ich mein Ticket abholte entdeckte ich schon einen Autor, nicht Anthony McCarten, aber Jan-Philipp Sendker, dessen neuer Roman „Herzenstimmen“ auf dem Markt ist.

Noch hatte ich Zeit und schlenderte in der Gegend herum, die Flaggen des Literaturfestivals flatterten noch etwas zaghaft, das Festival war noch nicht so richtig in Gang, aber das wird sich noch ändern.

Und dann ging ich zurück ins Kino, der Vorhang wurde geöffnet und bald sass Anthony McCarten und die Moderatorin Monika Schärer sieben Sitze neben mir und dachten wohl, dass ich nicht ganz gewickelt war, in der vordersten Reihe zu sitzen, wo man sich einen steifen Hals holt und prompt sprachen sie mich deswegen auch an. Den Platzanweiser fragte ich noch vor der Vorstellung, ob das Haus ausverkauft sei. Er schüttelte den Kopf, also zog ich einige Reihen nach hinten. Eine kurze Einführung, sehr sympathisch sprach der Autor einige Worte deutsch, bevor er wieder ins Englische wechselte. Das Drehbuch hat er natürlich selber geschrieben und musste dafür seinen Roman komplett demontieren. Denn was für den Roman richtig war, passte für den Film nicht mehr.

In „Death of a superhero“ geht es um einen krebskranken Jungen, dessen ganze Leidenschaft das Zeichnen von Cartoons ist und dies äusserst brilliant. Anthony McCarten hat einen sehr persönlichen Bezug zu Krebs, denn seine Eltern – Vater und Mutter – sind an Krebs gestorben und wurden zuvor mehrere Monate zu Hause gepflegt. Er sagte selbst, dass er beim Schreiben geweint habe, denn dabei dachte er unweigerlich auch an seine drei Söhne. Auf den Plot für „Superhero“ ist er durch einen Zeitungsartikel gestossen: ein Psychiater hat für seinen vierzehnjährigen Patienten eine Prostituierte gesucht. Der Psychiater spielt denn auch im Film eine wichtige Rolle.

Dann wurde der Film gezeigt. Ich konnte den Streifen völlig unbelastet anschauen, denn ich habe „Superhero“, wie der Roman schlicht auf Deutsch heisst, noch nicht gelesen. Es gab witzige Szenen, man darf nicht vergessen, dass Anthony McCarten ja auch der Verfasser des Drehbuches zu Full Monty war, das zuerst als Theaterstück „Ladies night“ Erfolg hatte. Bei jenem Film konnte man Tränen lachen.

Zurück zu diesem Film, bei dem Lachen und Tränen nah beieinander liegen. Ich konnte mir die Tränen auch nicht verkneifen, Krebstod geht einem nahe, erst recht, wenn der Kranke ein Teenager ist, der noch gar nicht richtig gelebt hat.

Nach der Filmvorführung gab der Autor ehrlich zu, dass ihn der Film auch zu Tränen gerührt habe.

Er stand nun noch Rede und Antwort zu seinem neuen Buch „Ganz normale Helden“, das gar nicht als Fortsetzung zu „Superhero“ gedacht war. Er hatte vor, einen Roman über einen Vater zu schreiben, der seinen Sohn im Internet sucht. Dazu brauchte er einen Vater, eine Mutter und einen Sohn. Da er etwas langsam im Denken sei, sei ihm erst nach einiger Zeit in den Sinn gekommen, dass er ja eigentlich diese Personen, nämlich die Eltern Delpe und den älteren Sohn Jeff, bereits hatte und diese seit dem Ende von „Superhero“ arbeitslos geworden seien.

Er erzählte, wie er sich mit Online-Games beschäftigte und sich in einem Spiel, das seine Söhne spielten,  übte, denn zuvor hatte er genau so wenig Ahnung von Internet-Games, wie sein Protagonist John Delpe.

Er las dann noch eine Passage eines Gesprächs zwischen dem Avatar AGI und Merchant of Menace und schon war es Zeit, den Kinosaal zu verlassen, denn bald stand die nächste Vorstellung auf dem Plan. Beim Verlassen des Saals sprach ich Anthony McCarten an und erzählte ihm, dass ich seinen neuen Roman bereits gelesen habe und nun gerne auch noch „Superhero“ lesen werde. Als er mein Arbeitsexemplar sah, fragte er mich, ob ich Buchhändlerin sei. Ich erklärte ihm, dass ich blogge. Der Mann nahm sich für seine Leser Zeit, gab jedem die Hand. Er signierte die Bücher freihändig, sprach mit jedem ein paar Worte und verabschiedete sich beim vorwiegend weiblichen Publikum (Männer waren nicht viele auszumachen) auch wieder mit Handschlag.

Als er dann noch einen speziellen Eintrag in mein Buch schrieb, erklärte er noch, dass ihm ein 17-jähriges Mädchen in München gesagt habe, dass er ein Schleimer sei. Die Umstehenden lachten herzlich. Und ob Schleimer oder nicht, habe ich mich über seinen Eintrag natürlich sehr gefreut. Und wenn Schleimer, dann ein sehr charmanter und witziger, der mir als sympathischer Autor in Erinnerung bleiben wird.

Die Literaturreise ging weiter. Die Schriftsteller fielen mir fast vor die Füsse. Ich fotografierte gerade einen Baum, der mit seinem gelben Laub aus dem tristen Grau herausstach, da kam mir der Schriftsteller von „Keller fehlt ein Wort“ und „Polarrot“, Patrick Tschan, mit der Tochter seines Verlegers, entgegen. Ich war mir im ersten Moment nicht sicher, hörte dann seinen Basler Dialekt und dann wusste ich, dass ich mich nicht geirrt hatte.

Nachdem ich mich gestärkt hatte, besuchte ich in der Buchhandlung Bodmer die Galerie „Zum Granatapfel“ im ersten Stock, wo Künstlerinnen des Internationalen Lyceumclubs Zürich ein giftgrünes Buch mit 120 Bildern unter dem Namen „Mille Feuilles“ zusammengetragen haben. Der Ursprungsgedanke war, „prägt das Buch die Gesellschaft oder prägt die Gesellschaft das Buch“. Am liebsten hätte ich das Meisterwerk gleich eingepackt.

Über den Abend werde ich morgen berichten. Es war ein langer und spannender Tag, der mich, wie letztes Jahr schon, müde aber begeistert und voller toller Erlebnisse ins Bett sinken lässt.

Freitags-Füller

1. An manchen Tagen mag ich den Hochnebel überhaupt nicht, vor allem aber passt mir das Wetter nicht für dieses Wochenende.

2. Zurzeit dreht sich alles nur um einen, auch wir werden ihn exklusiv nächsten Montag sehen, James Bond.
3. Gestern hat das Literaturfestival „Zürich liest“ 2012 begonnen.

4. In den nächsten Ferien machen wir es uns so richtig gemütlich.

5. Am 31. Oktober ist definitiv Halloween, da müssen wir wieder unser Auto in Sicherheit bringen.

6. Der Wocheneinkauf muss noch erledigt werden, bevor es nach Zürich geht, und zwar so schnell wie möglich.

7. Was das Wochenende angeht, heute Abend freue ich mich auf die Nominierten des Schweizer Buchpreises 2012, morgen habe ich eine Schifffahrt „Mit Robert Walser nach Wädenswil“ geplant (deshalb Pkt. 1) und Sonntag möchte ich mich vom Literaturbetrieb erholen, bevor ich am Abend noch den Abschluss geniessen werde!

So, liebe Leser, ihr seht, dass es bei mir nur um Literatur geht, was das Wochenende betrifft. Ich werde berichten. Und euch wünsche ich ein schönes Herbstwochenende und schickt mir ein paar Sonnenstrahlen, wenn ihr welche sehen solltet.

„Zürich liest“ 2012

Es dauert nur noch einen Monat, dann startet das diesjährige Literaturfestival „Zürich liest“ von dem ich schon letztes Jahr berichtete und begeistert war. Da es keinen Festivalpass gibt, was ich sehr bedauere, habe ich mir schon einige Tickets für diverse Veranstaltungen besorgt.

Am 26. Oktober 2012 werde ich mir Lunchkino die Verfilmung von „Death of a Superhero“ ansehen, bei dem auch der Autor des Romans, Anthony McCarten, anwesend sein wird. Vor einem Monaten erschien im Diogenes Verlag die literarische Fortsetzung unter dem Titel „Ganz normale Helden“.

Am Abend werde ich ins Literaturhaus gehen und die fünf Autoren und Autorinnen bei einer Lesung erleben dürfen, die für den „Schweizer Buchpreis“ 2012 nominiert wurden, das sind:

  • Sibylle Berg: „Vielen Dank für das Leben“
    Ursula Fricker: „Ausser sich“
    Peter von Matt: „Das Kalb vor der Gotthardpost“
    Thomas Meyer: „Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse“
    Alain Claude Sulzer: „Aus den Fugen“

Für den Samstag habe ich mir etwas Spezielles vorgenommen, nämlich mit dem Schiff nach Wädenswil zu fahren und unterwegs Literarisches von Robert Walser zu hören mit anschliessendem Besuch der Villa, in der ein Teil des Romans „Der Gehülfe“ handelt.

Zum Abschluss des Festivals, am 28. Oktober, werde ich Carlos Ruiz Zafón am Klavier erleben. Er wird aus seinem neuen Roman „Der Gefangene des Himmels“ lesen und im Gespräch zu hören sein. Auf diesen Anlass freue ich mich ganz besonders.

Vielleicht ergibt sich noch irgendein spontaner Anlass zwischendurch. Von meinen Aktivitäten werde ich selbstverständlich hier berichten. Ich hoffe, ihr seid so gespannt wie ich.

Zürich liest (Teil III)

Ich sag nur eines, mammamia, war das ein Tag!!

Es soll mal einer sagen, dass Literatur kein Sport sei und nicht fit hält. Was ich heute in der Stadt rumgesprintet bin, uffa, da war ich froh, zwischendurch ins Tram sitzen zu können, um mich durch die Stadt schaukeln zu lassen. Aber nun mal ganz schön der Reihe nach.

„Zürich liest“ hält 140 Veranstaltungen bereit, von Donnerstag bis Sonntag. Mir reichen definitiv Freitag und Samstag. Samstag war ich jetzt gerade mal zwölf Stunden unterwegs. Ich bin so schweissnass, wie nach dem Sport, es war ein Marathon.

Unterwegs im Zug nach Zürich war ich noch am Überlegen, ob ich am Stadtrundgang mitmachen sollte oder nicht. Es war 10 Uhr 50, als ich Richtung Bellevue, das liegt direkt am See, trabte und schliesslich einen schnelleren Gang einlegte. Ich wollte definitiv dabei sein.

Die Festival-Fahnen flattern vor dem Opernhaus

Das Motto lautete: „In Zürich möchte ich wohl leben“ auf den Spuren von Schriftstellern durch Zürichs Altstadt

Zahlreich haben sich die Literatur-Spaziergänger am Treffpunkt eingefunden und Martin Dreyfus erwies sich als sehr kompetenter Führer an die literarischen Orte.

Martin Dreyfus auf dem Fenstersims des Dada-Hauses

Da wurden Begebenheiten von Schriftstellern, die in Zürich lebten oder für die Zürich nur Durchgangsstation war, beschrieben, durch Zitate, Aufzeichnungen und Gedichte. So kamen wir an Orten vorbei, wo Elias Canetti, Stefan Zweig, Else Lasker-Schüler, Paul Celan, James Joyce und viele mehr gelebt und gewirkt haben. Ausnahmen bildeten der einheimische Hugo Lötscher und auch Gottfried Keller. In zwei Stunden erfuhren wir Spannendes und Lustiges, aus einer Zeit, die längst der Vergangenheit angehört und nie mehr so glanzvoll sein wird. Etliche Bauten gibt es heute nicht mehr, sie mussten grässlichen Betonklötzen weichen oder, wie das leider üblich ist, eine Buchhandlung wurde zum Kleider- oder einem Irgendwas-Shop. Ursprünglich wie damals steht das Hotel Hirschen noch da, wo anfangs der 1930er-Jahre Erika Mann mit der „Pfeffermühle“ anfing, Theater aufzuführen, mit dabei war die grossartige Therese Giehse.

Hotel Hirschen, Wirkstätte von Erika Manns Pfeffermühle

Wir standen vor dem einzigartigen Literatur- und Künstlercafé Odeon, das heute auf die Hälfte der Fläche geschrumpft ist, weil nebenan eine Apotheke eingezogen ist, wo sich Kafka, Joyce, Tucholsky und andere Berühmtheiten die Klinke in die Hand gaben.

Das ehemalige Hotel Schwert, wo unter anderem Goethe wohnte, durfte auch nicht fehlen, gleich daneben im Hotel Storchen residierte Nelly Sachs, für die Paul Celan extra nach Zürich gereist war und so das Gedicht zum Hotel Storchen entstand.

das ehemalige Hotel Schwert

Nur einen Katzensprung entfernt wohnte Marthe Kauer, die Leiterin der Volkshaus-buchhandlung, die selbst einen Berthold Brecht in die „Katakombe“ (der Treff für Lesungen zwischen den Bücherregalen der Buchhandlung) zu einem Auftritt überreden konnte. Lenin, der mit seiner Frau in einem Zimmer logierte, das damals schon eine kleine EU war, weil so viele Nationen in ein und derselben Wohnung eingemietet waren.

dazu gibt es nichts zu sagen

Sehr amüsant war die Schilderung über Ricarda Huch, die damals als Frau in Deutschland noch nicht studieren durfte und deswegen in die Schweiz an die Uni kam. Sie war am Anfang Gast im ehemaligen Hotel Bellevue. Sie sass im Restaurant, zwei Herren daneben unterhielten sich in einer Sprache, die sie als keine westeuropäische Sprache erkannte. Slawisch war es aber ebenso wenig, vielleicht Usbekisch, Turkmenisch? Am Schluss stellte sich heraus, dass die beiden Männer ganz einfach Zürichdeutsch gesprochen hatten, von dem die Dame kein Wort verstanden hatte, was sich später allerdings änderte.

das ehemalige Hotel Bellevue

Es war zwar kalt, aber durch den zackigen Gang unseres Literaturführers kam man gar nicht zum Frieren. Der Rundgang war wundervoll und und hochinteressant. Man lernt seine Stadt aus ganz anderen Blickwinkeln kennen.

Eines muss vielleicht auch noch gesagt werden: die beiden Weltkriege sind schuld, dass etliche Literaten überhaupt in unser Land gekommen sind. Sie haben die Stadt Zürich, auch wenn sich die Einen nur kurze Zeit hier aufhielten, durch ihren Aufenthalt, sehr bereichert.

Walter Mehring (aus den Unterlagen von Martin Dreyfus)

Um zwei Uhr wollte ich an einer Lesung teilnehmen, die ebenfalls speziell war, denn sie wurde im Tram durchgeführt. Ab 11. Dezember fährt die Linie 4 eine andere und teilweise komplett neue Route. Wie lange diese in Bau war, weiss ich schon gar nicht mehr, sicher zwei Jahre oder länger. Wir hatten also das Vergnügen, 50 Minuten auf der neuen Strecke durch die Stadt zu fahren und Endo Anaconda beim Lesen, aus seinem zweiten Buch seiner Kolummnen „Walterfahren“ zuzuhören. Walter ist der Name seines über zwanzig Jahre alten und verrosteten Autos. Anaconda ist der Sänger der Berner Band „Stiller Has“ und ein Unikum für sich. Ich sag nur eines: es war zum Schreien:)

Endo Anaconda mit seiner Verlegerin

Ach ja, hier muss ich noch erwähnen, als ich mich am Bücherstand erkundigt habe, wo ich Tickets für die Fahrt kaufen könne, da meinte die nette Dame, sie hätte noch Gratis-Tickets und schenke mir die Karte 🙂

Endo Anaconda

Dann war da noch die Truppe von „Index“, ein Künstler-Kollektiv, junge Autoren von Romanen, Theaterstücken und Kunstaktionen. Diese hatten am Bellevue ein Schreibbüro eingerichtet, wo man gegen ein kleines Entgelt, eine Geschichte bestellen konnte, egal ob man einen Liebesbrief, einen Witz, eine Weihnachts-, Familien- oder Pornogeschichte (dies ist kein Witz, stand so da) wünschte. Worte, Namen, Handlungsorte konnte man, wenn man wollte, vorgeben.

Einer der Schreiber hackte die Geschichte in 30 bis 45 Minuten in seine mechanische Schreibmaschine.

Index-Autoren beim Geschichten schreiben

Ich machte also meine Lesungsfahrt, wo sich endlich meine Füsse ausruhen konnten und holte meine Geschichte nachher ab. Inzwischen waren die Leute völlig überlastet und kamen mit Schreiben kaum noch nach.

"Mein" Autor Kurt Shortfart macht sich erste Notizen

Meine Stichworte waren Weihnachtsgeschichte, Alphütte und die Vornamen von meinem Liebsten und mir. Ich war ja so gespannt.

Als ich das Blatt in den Händen hielt, habe ich sicher gestrahlt wie tausend Sonnen. Wer kann schon eine Weihnachtsgeschichte sein Eigen nennen, die extra für ihn geschrieben wurde?

Das Papier hatte viele kleine Löcher, von all den Os des Hämmerchens, das längst seine Schuldigkeit getan hat. Ich war begeistert. Mir schien, als würde mich der Autor kennen, so treffend hat er die Geschichte verfasst, die den Titel „Die Kerze“ trägt. An Weihnachten werde ich diese kleine Geschichte meiner Familie vorlesen.

Jetzt hatte ich etwas Zeit, um es gemächlich anzugehen. Ich schlenderte über die Bellevuebrücke, quer durch den Flohmarkt zur Bahnhofstrasse und genehmigte mir zwischendurch eine kleine Verpflegung. Der nächste Gang führte mich in die Buchhandlung von Orell Füssli, wo ich plötzlich die Musik einer Handharmonika hörte. Da sass eine Musikerin in der Abteilung für fremdsprachige Literatur und spielte so wunderschöne und melancholische Lieder, ich wähnte mich mitten in Paris, woher die Dame, deren Namen ich nicht kenne, auch stammt.

Klänge aus Paris

Dazwischen lass sie aus dem Buch von Dominique de Rivaz „La Poussette“ (der Kinderwagen) und ich hörte ihr gerne zu, weil ich die französische Sprache so liebe. Eigentlich hätte die Autorin selber lesen sollen, sie war jedoch aus familiären Gründen verhindert.

Jetzt dauerte es nicht mehr lange und der nächste Höhepunkt sollte meinen literarischen Tag beschliessen. Ich hatte mich mit einer Freundin für die „Lesung“ von Rafik Schami verabredet.

Die Lesung ist bei ihm freies Erzählen. Der Saal war komplett ausverkauft (für zwei Veranstaltungen!). Da kam dieser überaus sympathische Mann auf die Bühne und wir hörten ihm zu und hörten ihm zu und ….. Rafik Schami fragte immer mal wieder: „Soll ich noch eine Geschichte erzählen? Soll ich das überspringen?“ Wie kleine Kinder, die am Boden vor der Märchentante sitzen, riefen wir: „nein, bitte weiter“. Der Mann ist unglaublich, steht da mitten auf der Bühne, lässt auch seine Hände reden und gibt eine Geschichte nach der anderen aus seinem neuen Buch „Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte“ zum Besten.

Rafik Schami

Wir hätten ihm noch lange zuhören können, aber irgendwann musste leider Schluss sein. Eine Zuhörerin rief ihm auf Arabisch zu:“Ich wünsche Ihnen eine gute Zunge“, worauf er ihr ebenfalls eine „gute Zunge“ wünschte. Dann stand noch Signieren seiner Bücher auf dem Programm, danach musste er den Nachtzug nach Bremen erreichen, wo ihm der mit 7500 Euro dotierte Preis  „Gegen Vergessen – für Demokratie“ verliehen wird.

Er lobte das neue viertägige „Zürich liest“-Festival und versprach nächstes Jahr wieder zu kommen. Nicht nur ich, wir alle nehmen ihn beim Wort, denn er war grossartig, er ist ein wahrer Erzähler, der locker mehrere Stunden als Alleinunterhalter bestreiten kann. Es wird keine Sekunde langweilig. Am Anfang verlangte er mehr Licht, damit die Zuschauer auf der Galerie nicht einschlafen würden. Dazu bestand keinen Augenblick Gefahr.

So, nun reicht es für eine Weile. Ich könnte noch viel erzählen, denn ich bin voll von tollen Eindrücken, von Begegnungen mit netten Menschen und auch der Herbst zeigte sich noch einmal von seiner besten Seite. Es war spannend und ich bin überzeugt, dass das Festival eine gute Bilanz ziehen kann. Ich auf jeden Fall bin begeistert 😀

Zürich liest (Teil II)

Endlich ist es soweit. Das Literaturfestival hat begonnen und ich hab mich frühzeitig in die Stadt aufgemacht, denn heute sollte die Lesung mit dem Literatur-Nobelpreisträger von 2003, J. M. Coetzee stattfinden.

Es ist schon eine besondere Ehre, die der Autor dem Festival erweist. Denn 1. gibt der Mann äusserst selten Interviews und 2. ist es die einzige Lesung in Europa überhaupt. Coetzee gibt ganz selten Interviews, eines war am Freitag in der NZZ abgedruckt. Leider kann ich nicht zur Zeitung verlinken, denn bei dieser Zeitung kostet fast jeder Beitrag etwas und ist deshalb schon nicht mehr online lesbar. Aber was mich sehr freut, dass der Autor in der „New York Review of Books“ ein Essay über den Schweizer Schriftsteller Robert Walser geschrieben hat.  Der Termin ist relativ kurzfristig eingeschoben worden, denn er war nicht geplant. Sicher deshalb auch der ungewöhnliche Ort für die Lesung, das Stadthaus von Zürich. Die Veranstaltung war bis auf den letzten Platz ausverkauft.

Zuerst machte ich mich aber Richtung Anlaufstation zu „Zürich liest“ auf, wo Programme auflagen und Bücher, von diversen Verlagen vorgestellt wurden.

Hier eine der jüngsten „Leserinnen“, die argwöhnisch das Lesezeichen oder vielmehr den Karton betrachtet.

Auch Musiker scheinen sich für Literatur zu interessieren.

Da die Temperatur angenehm mild war, war es auch kein Problem, längere Zeit vor dem Stadthaus zu warten.

Da kam einer extra vom Bodensee angereist, um noch einen Stehplatz zu ergattern, den hatte er sich anscheinend per E-Mail erworben. Nur war der Ärmste nicht auf der Liste und zog unverrichteter Dinge wieder von dannen. Schade, hätte er nur ein paar Minuten gewartet, dann hätte er von einer Dame ein Ticket erwerben können.

Dann war da noch so ein unmöglicher Zeitgenosse, der der Kartenverkäuferin das Leben mit stupiden Bemerkungen schwer machen wollte. Hat sich verärgert zurückgezogen, stand dann schlussendlich doch in der Halle und hat sich hoffentlich wieder abgeregt.

Das Plakat wurde schon einmal vor die Tür gestellt, aber immer noch mussten wir uns etwas gedulden.

Dann wurden wir eingelassen. Die Einen kauften noch schnell ein Buch, damit der Autor auch etwas zum Signieren hat, sonst würde ihm vielleicht langweilig werden 😉

Die Leiterin des Literaturhauses begrüsste die Gäste und wies auch gleich darauf hin, dass Coetzee keine Fragen zu seinem Werk beantworten würde. Die Dame war so auf den Autor fixiert, dass sie die Erzählung, die Coetzee uns vorlesen würde mit „The old man and the cats“ statt „The old woman and the cats“ ankündigte, sie hat sich dann hastig korrigiert.

Anschliessend sprach Guido Kalberer, Redaktor beim „Tages Anzeiger“, die Einleitung und gab einige Eckdaten zu J.M. Coetzee bekannt. Unter anderem erfuhren wir, dass der Autor seit einigen Jahren in Adelaide, Australien, lebt, und sogar australischer Staatsbürger geworden ist.

Schliesslich trat John M. Coetzee vor das Publikum. Sehr sympathisch war, dass er die einleitenden Worte zu seiner Erzählung auf Deutsch sprach. Mit einer sehr angenehmen und sanften Stimme trug er seine unveröffentlichte Geschichte in Englisch vor. Es hat irgendwie inspiriert, wieder einmal einen Text in englischer Sprache zu lesen. Es ist doch ein Unterschied, ob man eine Übersetzung oder das Original vor sich hat, gerade bei Coetzee, der sehr ausgewählte Worte benutzt.

Mir hat die Geschichte über die alte Frau mit ihren Katzen sehr gefallen. Es ging darum, dass der Sohn aus Amerika seine Mutter besucht, weil er sie ins Altersheim bringen will. Er ist sehr erstaunt, dass sie sicher ein Dutzend halbwilder Katzen in ihrem Haus hat. Die Katzen nahm die alte Dame bei sich auf, weil die Besitzer die Tiere zurückgelassen hatten, als sie aus dem Dorf wegzogen. Auch ein älterer Mann namens Pablo lebt bei der Mutter. Auf diesen müsse sie ebenfalls aufpassen, da er eine schwere Zeit hinter sich habe. Der Sohn führt nun ziemlich philosophische Gespräche mit seiner Mutter, ob die Tiere Gesichter und Seelen haben oder nicht. Auch wie es gewesen wäre, wenn seine Mutter einen Haufen Kinder gehabt hätte oder eben nur ihn und seine Schwester. Wie die Menge der Kinder sein späteres Leben beeinflusst hätte usw. Zwischendurch kamen durchaus witzige Passagen vor, so dass hin und wieder gelacht werden konnte.

Es war auf alle Fälle eine Geschichte, die zum Nachdenken anregt.

Die Signierstunde durfte anschliessend nicht fehlen. Unglaublich, was die Leute alles anschleppen! Die halbe Bibliothek haben die einen zu Hause ausgeräumt und gleich ein halbes Dutzend Bücher signieren lassen. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass man zügig am Tisch von J.M. Coetzee vorbeigehen solle, damit er nicht bis in die Morgenstunden unterschreiben müsse.

Danach wurde ein Apéro mit Wein, Mineral und einer Suppe offeriert. Das war eine sehr schöne Überraschung. Im wunderschönen Kreuzgang, zwischen dem Stadthaus und dem Fraumünster gelegen, konnten wir die ersten Eindrücke vom Abend diskutieren und geniessen.

Und so sieht die Unterschrift dieses zurückhaltenden und sympathischen Autors aus:

Mein erster Abend war schon ein absolutes Highlight. Auf meinem zwanzig-minütigen Fussmarsch nach Hause, konnte ich den Abend schon ein erstes Mal zufrieden Revue passieren lassen.

Morgen Samstag geht es weiter.